Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Anankes Augen, doch auch eine plötzliche, hilflose Sehnsucht.
Ananke schüttelte den Kopf; sein mitternachtsschwarzes Haar bewegte sich in einer aufreizenden Weise um die Schultern, die Tammis' Begehren weckte, Er schaute weg. »Ich kann wirklich nicht.«
»Vielleicht ein anderes Mal?«
Es geht nicht.« Er hob den Kopf, um Tammis' Blick zu erwidern. »Es wird nie gehen.« Ein Schauer durchlief ihn, er ballte die schmalen Hände zu Fäusten und versteckte sie unter dem Tisch.
Tammis starrte ihn eine geraume Zeitlang an; er glaubte genau zu wissen, was in Ananke vorging. Er holte tief Luft, kämpfte gegen seine überhitzten Phantasien an, bis eine Wärme ganz anderer Art ihn durchströmte. »Das sage ich mir auch immer ...«, sagte er zum Schluß. »Aber ich meine es nie ernst. Deshalb bin ich heute abend hier, und nicht daheim bei meiner Frau. Weil ich nicht weiß, was ich will.«
»Du hast eine Frau?« murmelte Ananke.
Tammis senkte den Blick. »Ich kann es ihr nicht erklären – warum ich so empfinde. Ich kann es niemandem erklären, der mir nahesteht. Ich kann es mir ja selbst nicht erklären.«
Ananke nickte. In seinen Augen dämmerten Verständnis und Staunen. »Ja«, sagte er leise, »mir geht es genauso. Mich hat nie jemand verstanden, und ich habe keinen, dem ich mich mitteilen kann. Kedalion und Reede ... sie sind so was wie meine Familie, aber wenn sie es jemals herausfänden, würde ich sie verlieren ... Ich hasse diese Vorurteile über Männer und Frauen, die Unterschiede zwischen ihnen, die Rollenverteilung. Auf meiner Heimatwelt eckte ich damit an, ich dachte mir, wenn ich von dort fortkäme, würde alles anders, es müßte doch einen Ort geben, wo ich besser zurecht käme. Aber ich habe immer noch Angst, was mit mir passiert, wenn jemand herausfindet, wie ich in Wirklichkeit bi n .«
»Vielleicht hast du auch Angst, du könntest eines Tages merken, daß sie im Recht sind und du nicht ... oder daß deine Wünsche in Erfüllung gehen, ohne daß es dich befriedigt, weil dein eigentliches Problem ganz woanders liegt ... weil es keine richtigen Antworten gibt.« Ananke nickte bedächtig; seine Miene drückte denselben Kummer aus, der auch Tammis quälte. »Und des, halb würdest du nie ...?«
Gesenkten Blickes schüttelte Ananke den Kopf. Er legte die Hände wieder auf den Tisch und faltete sie.
»Auch nicht mit?«
Mit jemandem, der dich versteht ... mit mir?
Ananke schaute wieder hoch; die Augen hatten einen unnatürlichen Glanz, und der Blick war voller Sorgen und Zweifel. »Nein«, flüsterte er.
Tammis starrte ihn an und beobachtete, wie er seine Gefühle wieder in den Griff bekam. »Und warum nicht?« fragte er schließlich mit sanfter Stimme.
»Weil es im Grunde um etwas ganz anderes geht ...« Ananke lehnte sich gegen die spiegelverkleidete Wand und schlang die Arme um seinen Körper. Seine Miene drückte Traurigkeit aus. Der Glanz in seinen Augen war erloschen, sie blickten stumpf, ohne Tränen und ohne Hoffnung.
»Möchtest du darüber sprechen?«
Ananke schüttelte den Kopf. »Das würde auch nichts ändern«, meinte er.
Tammis nickte müde. »Dann gibt es wohl nichts mehr zu sagen. Das beste wird sein, wenn ich jetzt gehe.« Er faßte nach dem Sibyllenmedaillon, das auf seinem Hemd hing.
Ananke nickte und blickte zur Seite.
»Es tut mir leid ...« Tammis stand auf; er bedauerte es, daß er nichts tun konnte, um zu helfen.
TIAMAT
Karbunkel
B ei den Göttern, wie ich die frische Luft vermisse! An diesem Ort kriegt man ja Platzangst: er ist muffig,
uralt,
stinkt und hat ein Echo. Ständig bilde ich mir ein, aus dem Augenwinkel
Dinge
zu sehen. Ma fühlt sich wie in einer Falle ... Es ist
unnatürlich.«
Aus seiner Versunkenheit gerissen, schob sich Gundhalinu den Simulator-Kopfset von den Augen; neben ihm ließ sich Vhanu auf einen Sitz fallen, gefolgt von Kitaro und Akroyalin, einen der beigeordneten Richter. Gundhalinus Blick konzentrierte sich wieder auf den großen Saal der Survey-Halle, dann schaute er in die Gesichter der Neuankömmlinge. »Hier, NR, probiere Sie einen von diesen.« Er streckte sich, nahm den Kopfset ab und reichte ihn Vhanu. »Sie sind gerade eingetroffen. Nehmen Sie Urlaub, ohne ihren Sessel zu verlassen.« Er hatte soeben eine vollsensorische Rekreation in dem Wüstenkurort auf Kharemough genossen, den sein Vater die Familie öfter mitgenommen hatte. Als er noch ein Kind war, fuhren sie jeden Herbst z den heißen Quellen, denn sein Vater fand, die
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