Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
komplexen Problemen, mit denen wir es hier zu tun haben, verstehen sie nicht das geringste.«
»Aber das Zentrale Komitee verfügt über viel Einfluß«, hielt Tilhonne entgegen. »Mein Onkel hat bereits angedroht, höchstpersönlich hier aufzukreuzen und herauszufinden, was im Namen seiner heiligen Ahnen vorgeht, wenn wir nicht bald zu einem Kompromiß mit der Königin kommen. Sollte es bei der Ankunft der Hegemonischen Gesellschaft zu Unruhen kommen, genügt ihm das als Vorwand, um Ermittlungen einzuleiten. Das könnte unser aller Karrieren ruinieren.« Bei der Aussicht darauf blickte er höchst unglücklich drein.
Gundhalinu wußte, daß Tilhonnes Sorge wohlbegründet war. Seine Autonomie auf Tiamat dauerte nur so lange, wie er nicht unangenehm auffiel. Nachdenklich starrte er auf das Siegel der Hegemonie an der Wand, Acht Welten, die durch einen strahlenden Durchbruch der Sonne symbolisiert wurden.
Mehrere Stimmen hoben sich, ungeduldig, besorgt –die Diskussion kreiste um ein einziges Thema, dessen war er sich ganz sicher – und dabei ging es nicht um das Wohlergehen der Sommerkönigin.
»Ich schlage vor, daß wir über die Petition des Bürgers Wayaways abstimmen«, meldete sich Borskad, den Blick auf seinen Bildschirm geheftet. »Er verlangt einen totalen Wechsel, einschließlich der Wiedereinsetzung des Wintervolks an die Macht; das Prozedere wird durch die traditionellen theokratischen Rituale geregelt.«
»Das lasse ich nicht zu«, sagte Gundhalinu. Er drückte auf den Schalter und löschte die Daten auf dem Monitor mit einem automatischen Veto.
Echarthe gab seinen Wunsch ein; einer nach dem anderen am Tisch stimmte ab, beobachtet von Wayaways, der die Hände im Schoß gefaltet hielt und lächelte. Zum Schluß stand fest, daß Gundhalinu überstimmt worden war, und der Text der Petition erschien wieder auf den Bildschirmen.
»Sie haben verloren, Richter«, stellte Borskad fest und ließ zufrieden seine Fingerknöchel knacken. »Man muß den Tiamatanern erlauben, ihre eigene Regierung zu wählen.«
»Das lasse ich nicht zu«, wiederholte Gundhalinu ahne Umschweife. »Ich lasse die Polizei einschreiten.«
»Das können Sie gar nicht, BZ«, murmelte Vhanu neben ihm. Gundhalinu drehte sich um und sah ihn an. »Die Befehlsgewalt liegt ausschließlich bei mir«, fuhr Vhanu fort. Gundhalinu las Bedauern und Unbehagen In seinem Blick, aber keine Zweifel. »Sie können es nicht verhindern.«
Gundhalinu wandte sich wieder den anderen Konferenzteilnehmern zu; alle schienen fest entschlossen zu sein. »Verdammt, ich erlaube es nicht, daß die Königin geopfert wird!«
»Es geht aber nicht anders, Richter«, entgegnete Borskad unverblümt. »Die Hegemonie will das Wasser des Lebens. Wenn wir es nicht beschaffen – so oder so –, dann suchen sie sich andere, die weniger Skrupel haben.«
»Wir haben gar keine Wahl.« Vhanu schüttelte den Kopf. »Diese Frau gefährdet mit ihren lästigen Forderungen unser aller Positionen – einschließlich Ihr Amt, BZ. Lieber opfere ich die Königin als die gesamte Regierung, habe ich nicht recht? Wir haben soviel Zeit und Mühe in dieses Projekt investiert, daß ich nicht alles wieder verlieren möchte. Doch genau das wird eintreten, wenn wir nicht rasch etwas unternehmen.«
»Es sei denn ...« Wayaways sprach den Satz nicht zu Ende, sondern wartete, bis völlige Stille eingetreten war.
»Es sei denn –
was?«
hakte Gundhalinu nach; ihm war klar, daß seine Demütigung mit zu Wayaways Plan gehörte.
»Es sei denn, Sie ändern Ihre bisherige Haltung und geben die Jagd auf die Mers frei. Dann bekäme jeder, was er wollte – die Hegemonie kriegt das Wasser des Lebens, die Tiamataner profitieren von dem Handel, und Sie hätten die Königin gerettet. Auf diese Weise wären alle glücklich und zufrieden – mit Ausnahme der Königin, vielleicht, aber ich glaube, daß selbst sie eine Enttäuschung dem Tod vorzieht. Ich bin sicher, daß das Volk sie als Königin behalten wird, solange wir bekommen, was wir wollen. Für eine Sommer war sie wirklich eine ziemlich aufgeklärte Frau, bis sie sich in diesen religiösen Wahn verrannte, die Mers seien heilig.«
Wieder begann ein allgemeines Gemurmel; Kirard Set Wayaways' Vorschlag wurde beifällig aufgenommen, und man bedrängte Gundhalinu, er möge zustimmen. Mitten unter den Teilnehmern saß Wayaways, und starrte ihn über den Tisch hinweg schweigend an.
»Das klingt sehr vernünftig«, wisperte Vhanu Gundhalinus Ohr; seine
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