Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
sie sich, ob er seine Begleiter stets aus denselben Gründen mitbrachte wie sie. Seit seiner Ankunft auf Tiamat war sie noch nie mit ihm allein gewesen; und heute traf sie ihn zum erstenmal auf dem Territorium der Hegemonie. Er beugte sich über den Schreibtisch vor, und in seinem Blick lag die stumme Frage, die sie ihm nicht beantworten konnte.
»Ich komme zu Ihnen ...«, begann sie und brach wieder ab. Sie wich seinen intensiven Blicken aus. »Ich möchte wissen, wieso Sie Ihre Ansichten über die Merjagd geändert haben«, fragte sie übergangslos, auf leere Floskeln verzichtend.
Verständnis, Frustration und ein Ausdruck, der Resignation hätte sein können, leuchteten in seinen Augen auf und erloschen jedoch so rasch, daß sie nicht sicher sein konnte, ob sie diese Empfindungen auch richtig gedeutet hatte. »Ich verstehe«, erwiderte er.
»Warum wurde das Jagdverbot aufgehoben? Sie wissen, daß ich das Töten der Mers untersagt habe – sie unterstehen dem Schutz des Sommervolks. Sie haben kein Recht ...«
Er preßte die Lippen zusammen, und plötzlich wirkte sein Gesicht müde und verhärmt. »Ich konnte nicht anders.«
Sie runzelte die Stirn. »Das ist nicht wahr.« Eine kalte Wut stieg in ihr hoch, weil sie sich verraten fühlte. »Sie wissen, was ich Ihnen über die Mers erzählte ... Sie wissen, was der Transfer über die Mers bekanntgibt: sie sind eine intelligente Spezies.« Sie hatte es vor ihm und seinen Ratgebern demonstriert; indem sie BZ selbst als Sibyl benutzte, stellte sie ihm die Frage und ließ ihn im Beisein der Regierungsvertreter die Antwort aussprechen. »Alle haben es gehört!«
Er betrachtete seine Hände, die auf der Tischplatte ruhten, und sah danach wieder sie an. »Die Wahrheit hat schon früher nicht ausgereicht, um die Jagd auf Mers zu verhindern. Dabei ist es geblieben.« Er schüttelte den Kopf. »Mond, ich habe das Unvermeidliche so lange hinausgezögert, wie es ging. Ich habe Forschungsteams losgeschickt und sie eure Daten analysieren lassen. Ich weiß, was los ist – aber ich kann weder meine Leute noch das Zentrale Koordinations-Komitee zur Einsicht bringen. Die sehen nur, was sie sehen wollen.
Das Sibyllennetz kann bis in alle Ewigkeit behaupten, die Mers seien intelligente Wesen; aber, verdammt noch mal, die Mers tun nichts, um diese Theorie zu unterstützen, jedenfalls verhalten sie sich nach menschlichen Maßstäben nicht intelligent. Sie geben uns bei der Lösung dieses Problems keine Hilfestellung, sie begreifen nicht einmal, worum es geht. Entweder ist ihre Gesellschaft zu subtil – oder zu fremdartig. Die unabhängigen Gutachten sind zu vage, um bestimmte Leute daran zu hindern, sich das Wasser des Lebens zu beschaffen. Und selbst wenn die Forschungsergebnisse eindeutig wären ...«
»Ja, was dann?« fragte sie und ballte die Fäuste, bis die Fingerknöchel ganz weiß unter der Haut hervortraten.
»Diese Menschen wollen das Wasser des Lebens, und zwar sofort!« Ihrem Groll begegnete er mit einem jähen Temperamentsausbruch. »Die meisten von ihnen nehmen zu Hause wichtige Positionen ein.«
Zu Hause.
Ihr war klar, daß er damit
Kharemough
meinte. »Aber hier geht es nicht nur um das Recht der Mers auf Leben – es geht nicht nur um Völkermord«, versetzte sie erbittert. »Wenn die Merpopulation dezimiert wird, gerät die gesamte Hegemonie in Gefahr –alle Welten, die einmal zum Alten Imperium gehörten!«
Verständnislos starrte er sie an. »Wieso?« fragte ei »Nur weil es dann keine Mers mehr gibt? Das ist diesen Leuten
egal,
verstehen Sie das nicht?«
»Nein!« Sie stand auf und schüttelte den Kopf,
»Sie
sind derjenige, der nichts begreift. Hier geht es um mehr – um viel mehr! Wenn man es ihnen nur sagen könnte, wäre es ihnen bestimmt nicht egal!«
»Was müßte man ihnen sagen?« Seine Stimme klang gereizt. Wieder beugte er sich vor. »Gibt es noch etwas? Was haben Sie mir verschwiegen?«
»Ich weiß, daß ... daß ...« Ihre Kehle schnürte sich zusammen, ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und unwillkürlich ballte sie die Fäuste. Sie schüttelte den Kopf und kämpfte mit aller Macht gegen diesen Krampf an, doch er wollte sich nicht lösen. »Ich weiß, was ich weiß«, flüsterte sie; ohne Gundhalinu anzusehen, ließ sie sich wieder zurück auf ihren Sessel fallen.
»Götter ...«, murmelte er; er rieb sich das Gesicht und lehnte sich zurück. »Vater aller meiner Vorfahren, Mond, ich habe alles Menschenmögliche getan –
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