Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
für Sie und für Ihre Welt. Ich habe die Jagdquoten für die Mers neu festgesetzt und so niedrig gehalten, wie es überhaupt nur ging. Ich habe nicht aufgehört, mit meinen Beratern zu diskutieren. Wenigstens akzeptieren sie, daß die Merjagd begrenzt sein
muß –
da diese Geschöpfe sonst sehr bald aussterben würden, und diese Logik begreifen selbst sie. Außerdem stelle ich Ihnen weiterhin sämtliche Hilfsmittel zur Verfügung, die Sie zur Erforschung der Mers brauchen. Meine Leute beschäftigen sich bereits damit, ob es möglich sein wird, die Geburtenrate der Mers zu erhöhen, oder ihnen Blut abzunehmen, ohne sie dabei zu töten.«
Voller Abscheu schaute sie ihn an.
»Das ist die reale Welt, verdammt noch mal!« fluchte er, und sie hörte, daß er selbst Ekel empfand. »Wir müssen kompromißbereit sein und auch nachgeben können, wenn wir überleben wollen. Etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig.«
»Wir haben immer eine Wahl«, entgegnete sie. Ihre Verzweiflung lastete auf ihr wie ein Stein; das Wissen, daß sie ein Geheimnis kannte, ohne es je einem anderen Menschen mitteilen zu dürfen, zerfraß sie innerlich.
»Mond«, sagte er leise. »Ich wurde vor die Wahl gestellt: ich mußte entweder die Mers opfern ... oder dich.«
Entgeistert starrte sie ihn an.
»Gewisse Cliquen aus dem Wintervolk bedrängen die Hegemonie, bei der Ankunft der Hegemonischen Gesellschaft einen neuen Wechsel zu initiieren. Die Winter wollen wieder an die Macht ... und du sollst ins Meer geworfen werden. Und bestimmte Gruppen meiner Leute – denen auch der Vertreter des Zentralen Komitees angehört – unterstützen diesen Wunsch. Ich habe versucht, dich zu warnen, daß ich diesen Balanceakt nicht auf Dauer durchhalten kann. Ich mußte mich entscheiden – das Leben der Mers gegen dein Leben. Und ich entschied mich für dich.«
»Unser aller Mutter«, murmelte Mond; es klang wie ein Gebet. Ein Schauder durchlief sie, und sie senkte den Blick. »Wie konnte das passieren?«
»Mond«, sagte er, »wir balancieren über der Grube, begreifst du nicht? Wenn wir uns zu schnell oder zu langsam bewegen, wenn wir nicht den richtigen Ton in einer bestimmten Abfolge treffen, dann fegt der Sturm der Veränderung uns beide hinweg. Gestern bei der Konferenz wäre es um ein Haar passiert. Die Hegemonie hat die technologische Entwicklung, die du hier begonnen hast, nur deshalb nicht zerstört, weil ich schon auf Kharemough begonnen habe, sie davon zu überzeugen, daß es für eine Umkehr zu spät ist. Jetzt, wo sie wissen, daß das Geheimnis der Sibyllen bekannt ist, konnte ich ihnen begreiflich machen, daß es wirtschaftlich und politisch klüger ist, den Tiamatanern zu geben, was sie wollen. Aber dafür verlangen sie einen Preis –es gibt nichts umsonst. Die Hegemonie kam aus einem einzigen Grund nach Tiamat zurück: sie will das Wasser des Lebens. Und sie wird es sich nehmen, ob es uns paßt oder nicht. Tiamat kann eine Gegenleistung verlangen – es kann aber auch leer ausgehen. Um der Götter willen, Mond, ich bemühe mich wirklich, dir zu helfen. Sag mir, daß du das verstehst!«
Sie hob den Kopf; vor ohnmächtiger Wut vermochte sie nicht klar zu denken. Durch eine Ewigkeit, durch Entfernung und durch quälende Zweifel von ihm entfremdet, starrte sie ihn an. In seinem Gesicht erkannte sie das Vergangene und das Gegenwärtige, sie sah den Geliebten und den Fremden, und auch das glänzende Sibyllenmedaillon, das sich hell von dem schwarzen Hemd abhob. Sie preßte sich die Hand gegen die Augen, ließ sie wieder sinken, und ihr Blick klärte sich. »Ja«, murmelte sie. »Ich verstehe dich. Ich weiß, wieviel du für ... für uns getan hast, seit die Hegemonie zurückgekehrt ist.«
Er nickte und senkte den Blick; wie ausgelaugt kam er sich vor.
Langsam stand sie auf; sie sah ein, daß es nichts mehr gab, womit sie die Jagd verhindern konnten, weil sie den wahren Grund, weshalb der Schutz der Mers so wichtig war, nicht verraten durfte.
Sie drehte sich um und betrachtete das Bild an der Wand; eine sinnliche Komposition aus Farben und Atmosphäre, es wirkte ruhig und dennoch ungeheuer lebendig, solide und vergänglich zugleich, wie ein erstarrter Augenblick, in dem der gemächlich kreisende Tanz von Öl auf Wasser eingefangen wurde. Ein Bild wie dieses hatte sie noch nie gesehen; als das Büro noch ihr gehörte, hatte es nicht dort gehangen.
Sie hörte, wie BZ sich von seinem Sessel erhob und zu ihr kam. Plötzlich spürte sie das
Weitere Kostenlose Bücher