Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
davon war Tammis fest überzeugt – denn von Anfang an hatte das Hospital unter Personalmangel gelitten.
Trotzdem schien es dem Obersten Richter ernsthaft daran gelegen zu sein, die Beziehungen zwischen den Tiamatanern und den Außenweltlern zu verbessern. Flüchtig fragte er sich, ob er das alles nur tat, um bei der Sommerkönigin einen guten Eindruck zu machen ... Verdrossen überlegte er, ob Elco Teel und die anderen recht hatten, wenn sie hinter seinem Rücken tuschelten, BZ Gundhalinu habe früher ein Verhältnis mit seiner Mutter gehabt. Jedesmal, wenn er in das dunkle, fremdartige Gesicht des Obersten Richters schaute, glaubte er tatsächlich, sich darin wiederzuerkennen ...
Seine Schwester war wütend davongestakst, als er ihr von seinen Vermutungen erzählt hatte; seine Mutter hatte blaß und zerstreut Ausflüchte gemurmelt, wann immer er versuchte, dieses heikle Thema anzuschneiden. Seinen Vater hatte er lieber nicht gefragt, denn seit dem Vorfall auf seiner Hochzeit würdigte der ihn kaum noch eines Blickes. Merovy behauptete, sie könne keine Ähnlichkeit zwischen ihm und BZ Gundhalinu entdecken ... – doch als sie das sagte, konnte sie ihm nicht in die Augen schauen.
Merovy.
Er sah sich in den Sälen des medizinischen Komplexes um, kam an einer schimmernden, stillen Maschine vorbei, deren Funktion Merovy ihm einmal erklärte hatte; mittlerweile hatte er jedoch wieder alles vergessen.
Merovy ...
Plötzlich dachte er an nichts anderes mehr. Er war hierhergekommen, um sie etwas zu fragen.
Warum ...?
Warum sie vergangene Nacht nicht zu Hause gewesen sei, als er heimkam ... warum sie ihm nur einen Zettel hinterlassen hatte, der noch feucht war von ihren Tränen, und auf dem stand, sie würde ihn verlassen. Wenn er wollte, könnte er ja heute zu einer Aussprache in die Klinik kommen. Keine weiteren Erklärungen, kein persönliches Wort. Doch es bedurfte keiner Erklärung, weshalb sie nicht mehr bei ihm bleiben wollte, dachte er mit wundem Herzen.
Jemand begrüßte ihn mit seinem Namen – ein Fremder, ein Techniker, der Merovys Ausbildung überwachte. »Ihre Frau ist in Zimmer zweihundertzwölf.«
Gesenkten Blick bedankte er sich für die Auskunft. Er wagte es nicht, hochzuschauen, aus Angst jeder könne ihm sein schlechtes Gewissen ansehen und wüßte genau, wieso er hier war, wieso seine Frau ihn verlassen hatte, wieso ...
Er betrat das Labor, in dem Merovy arbeitete; sie saß an einem Terminal, das volle, braune Haar war zu einem adretten Zopf geflochten. Vor ihr flackerte ein sich veränderndes Datenmodell in der Luft; geschickt und konzentriert kontrollierte sie die Metamorphose. Bereits als Kind hatte sie ihren Vater leiden sehen, und nachdem sie erleben durfte, wie die Medizin der Außenweltler ihm half, stand ihr Entschluß fest, im Gesundheitswesen zu arbeiten. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als Medizin zu studieren – mit einer einzigen Ausnahme: es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war er ihr Hauptlebensinhalt gewesen.
»Merovy«, sagte er leise.
Erschrocken, aber nicht überrascht, drehte sie sich um. »Ich bin froh, daß du gekommen bist, sagte sie; doch die Worte klangen hohl.
»Du hast mich doch darum gebeten.« In einer halb fragenden, halb beschwichtigenden Geste, streckte er die Hände aus. »Hätten wir uns nicht zu Hause unterhalten können?«
»Heute nacht kamst du ja nicht nach Hause. Ich habe stundenlang auf dich gewartet.«
»Ich mußte arbeiten ...«
»Lüg mich nicht an!« Ihr Gesicht rötete sich; sie stand auf. »Wir haben oft genug versucht, uns auszusprechen. Umsonst.«
»Merovy ... es tut mir leid.« Er schüttelte den Kopf und starrte zu Boden. »Dieses Mal wird es anders sein, das schwöre ich dir.«
»Das sagst du immer! Aber nie ändert sich was!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen des Zorns und des Kummers. »Du willst mich gar nicht haben, du benutzt mich nur als Tarnung, hinter der du dich verschanzen kannst. Ich weiß genau, daß die anderen über mich lachen. In aller Öffentlichkeit macht man sich über mich lustig, wenn du mich wieder mal alleingelassen hast. Wieso willst du eigentlich, daß ich zu dir zurückkomme? Ich bin kein Knabe – ich würde mich gern in einen verwandeln, aber das geht nicht. Schade, daß ich kein Mann werden kann, dann würdest du mich vielleicht genauso lieben wie ich dich.«
»Ich will nicht, daß du dich veränderst.« Er ballte die Fäuste; am liebsten hätte er Merovy umarmt, aber
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