Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
innerhalb eines einzigen Herztakts verwandelte sich die grimmige Furcht auf Anankes Gesicht in verblüffte Erleichterung. »Boss ...«, stöhnte er und lehnte sich matt gegen die Wand. In einer Hand hielt er den Dolch, den er sonst immer im Gürtel trug, und den er, soweit Reede wußte, noch nie gezückt hatte. »Ich wollte gerade reingehen.«
Nun konnte Reede die Stimmen deutlich hören. Mit einem Wink bedeutete er Ananke, er solle beiseite rücken; dann kletterte er auf den Stapel von Kisten, um durch die schmutzstarrende winzige Fensterscheibe zu sehen, die Ananke an einem Punkt saubergewischt hatte. In der Lagerhalle war eine Party in vollem Gange; ohne lange hinzusehen wußte Reede, um welche Art von Fete es sich handelte. Trotzdem schaute er noch ein Weilchen zu, gespannt nach einem bekannten Gesicht forschend, einem silberweißen Haarschopf ...
Da!
Er sprang nach unten und sah Ananke an. »Ist das deine ganze Bewaffnung«, fragte er, auf den Dolch zeigend.
Ananke zog eine Grimasse. »Tut mir leid, Boss, ich ...«
»Halt die Klappe! Nimm das hier.« Reede zückte sein eigenes Messer und gab es dem Jungen. »Um der Götter willen – paß ja auf, daß du niemanden aus Versehen damit tötest. Ist die Tür abgesperrt?«
»Ich weiß nicht.«
Reede gab einen knurrenden Laut von sich und drängte sich an ihm vorbei. Die Tür war verriegelt. Den programmierten Alarm ignorierend, gab er eine Override-Sequenz ein und stieß die Tür auf. Sie hetzten einen kurzen Korridor entlang; jemand, der die Ursache für den blökenden Signalton erkunden wollte, kam ihnen entgegen. Reede knallte ihm den mit einem Gewicht beschwerten Griff des Stunners ins Gesicht, und der Mann ging zu Boden, ohne einen Muckser von sich zu geben.
Reede machte einen großen Schritt über ihn hinweg und betrat eine Halle, dichtauf gefolgt von Ananke. An den Wänden des Lagerraums stapelten sich Kisten und Maschinen, auf dem kahlen, freien Platz in der Mitte hatte man Transportmatten ausgebreitet. Auf einer umgekippten Kiste befand sich eine Auswahl von billigen Drogen; um die Matten scharten sich ungefähr ein Dutzend Leute, die meisten von ihnen Außenweltler, fast alles Männer, grobschlächtig aussehende Schwerstarbeiter; vermutlich Gebrandmarkte.
Ein wenig abseits stand Elco Teel mit drei jungen Winterleuten aus seiner Clique, einem Jungen und zwei Mädchen. Sie gafften, kicherten und zeigten mit Fingern; dann entdeckte Reede, was ihre Aufmerksamkeit derart fesselte.
Mitten im Raum stand Ariele Dawntreader auf den Matten, umringt von einem Rudel unruhiger Männer. Der Träger ihres langen, bunten Gewandes war von der Schulter gerutscht, und von der Taille aufwärts war sie nackt. Der wildfremde Mann, den sie hingebungsvoll küßte, knetete ihre Brüste; von hinten näherte sich ein anderer und zog ihr das Kleid noch weiter herunter. Pfiffe und Gejohle hallten von den Wänden der trostlosen Halle wider.
Fluchend wollte Ananke nach vorn stürmen. Reede drängte ihn zur Seite, hob den Stunner, zielte und drückte ab. Der Außenweltler, der hinter Ariele stand und gerade dabei war, von hinten in sie einzudringen, faßte sich quiekend zwischen die Beine. Dann brach er auf dem Boden zusammen und landete in einer Pfütze seines eigenen Darminhalts, weil die Schließmuskeln plötzlich versagten.
»Ariele!«
Die Menschen im Raum wandten sich ihnen zu. Der Außenweltler, der Ariele von vorn begrapschte, ließ sie los und stieß sie von sich, als sie versuchte, sich an ihn zu klammern. Taumelnd drehte sie sich um und starrte ebenfalls Reede an. Ihr Blick war glasig und leer. Mit einem seltsamen Zucken des Kopfes sah sie an sich hinab und schaute dann wieder zu Reede hin.
Die Waffe schwenkend, trat Reede in die Halle. Niemand rührte sich vom Fleck, alle schienen vor Staunen und Entsetzen wie gelähmt zu sein. »Ananke«, sagte er und zeigte auf Elco Teel, »du hältst diese kleinen Perverslinge da drüben in Schach. Paß auf, daß sie nicht weglaufen.« In jeder Faust ein Messer, baute sich Ananke vor den jungen Leuten auf. »Und jetzt zu euch«, sprach Reede die mürrischen, schweigenden Männer an, die Ariele immer noch umringten.
Einer der Kerle machte einen Schritt auf ihn zu. Reede hob den Stunner, und der Typ wich zurück. Doch an den berechnenden Blicken der Männer merkte er, wie ihnen allmählich dämmerte, daß sie in der Überzahl waren. Nervös schaute Ananke zu ihm hin.
»Ich rufe jetzt die Blauen und melde, was hier für eine
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