Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
zu bleiben, ohne einen Liebhaber. In der letzten Nacht der Masken war sie nach langer Zeit wieder mit Funke vereint gewesen, und vor ihnen lag eine strahlende, vielversprechende Zukunft. Doch jetzt befand sich Funke gar nicht hier, er hatte sich entschuldigt und gesagt, bis zum Abflug der Hegemonischen Gesellschaft wolle er mit seinem Vater zusammenbleiben. Sie glaubte ihm sogar. Doch vor dem nächsten Morgen würde er nicht zurückkommen – egal, auf welche Weise er die Nacht verbrachte.
Tammis war auch nicht da; er heuchelte nicht einmal mehr, daß seine Ehe mit Merovy funktionierte ... Mond hatte gehört, daß die beiden getrennt lebten, aber weder ihr Sohn noch ihre Schwiegertochter hatten es ihr persönlich erzählt. Und Ariele ... nur die Herrin wußte, wo sie sich in dieser acht herumtrieb ... und mit wem. Man munkelte etwas über einen Außenweltler. Tor hatte die beiden zusammen gesehen und gemeint, sie sei
ein ganz kleines bißchen besorgt ...
Seit Wochen hatte sich Ariele nicht mehr im Palast blicken lassen; Mond staunte nicht schlecht, als sie dann doch zu dem Bankett im Sternenhafen erschien – und das Fest obendrein mit den anderen Familienmitgliedern verließ, aus Protest, weil das Wasser des Lebens herumgereicht wurde. Mond hatte es aufgegeben, ihre eigene Tochter zu verstehen.
Der Premierminister und ein paar andere Gäste – hinter den stereotypen Masken, fabrikmäßig hergestellte Massenware, war nicht zu erkennen, um wen es sich handelte – kamen zu ihr, um ihr eine gute Nacht zu wünschen. Sie behandelte sie mit einer Höflichkeit, die ihnen gar nicht zustand. Sie erkannte die Stimme des Polizeikommandanten, Vahnu; zum Schutz der Würdenträger waren einige unmaskierte und uniformierte Blaue anwesend. Sie fragte sich, wie Jerusha die heutige Nacht verbrächte; vermutlich schob sie Dienst im Auftrag der Hegemonie. Plötzlich vermißte sie ihre alte Freundin.
Niemand, den sie gern hatte, war da ...
Sie hob eine Hand an ihr Gesicht, doch anstatt ihre Haut zu fühlen, faßte sie an den Stoff ihrer Maske. Rasch ließ sie die Hand wieder sinken.
Den ganzen Abend lang hatte sie in der Menge nach der schwarzen Tracht des Obersten Richters geforscht; sie hoffte, zwischen der glitzernden Fülle von Schmuck und Medaillen ein silbernes Kleeblattabzeichen aufblitzen zu sehen. Aber nirgendwo hatte sie ihn entdeckt.
Seit der Ankunft der Hegemonischen Gesellschaft und dem Eklat auf dem Bankett war Gundhalinu zu jedem Fest erschienen; wenn es die Etikette erforderte, saß er neben ihr, doch anscheinend genoß er diese Zusammenkünfte ebensowenig wie sie. In seinen Augen sah sie Bedauern und Resignation, und sie sprachen nur miteinander, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Heute nacht mußte er schon früh gegangen sein – falls er den Ball überhaupt besucht hatte, denn hinter den tarnenden Masken war alles möglich. Langsam bewegte sie sich auf den Treppenaufgang am Ende der Halle zu. Der Premierminister hatte sich verabschiedet, und sie mußte auf niemanden mehr Rücksicht nehmen.
Plötzlich traf ein Lichtreflex ihre Augen. Sie wandte sich um und entdeckte inmitten der bunten Farbenpracht eine Maske, die sie sogleich faszinierte. In all der lieblosen Massenproduktion trug jemand eine Maske, die genauso einzigartig war wie ihre eigene. Etwas an diesem Kunstwerk verriet ihr, daß sie nur von Fate Ravenglass stammen konnte. Aber sie kannte doch sämtliche Masken, die Fate von Hand angefertigt hatte – es waren höchstens ein Dutzend. Fate hatte sie an Mond und ihre Familie verschenkt, eine bekam Tor, die restlichen erhielten ein paar Leute, die sie als ihre speziellen Freunde betrachtete. Es gab noch mehr Maskenmacherinnen, von denen einige wieder ins Geschäft eingestiegen waren und handgearbeitete Masken an reiche Tiamataner und Außenweltler verkauften. Doch Fate, die seit jeher als die beste ihres Fachs galt, hatte gesagt, dieses Mal würde sie nur Masken herstellen, um sie hinterher an ihre Freunde zu verschenken.
Mond fragte sich, wer dieser Beschenkte wohl sein mochte; aus der Entfernung konnte sie nur sagen, daß es sich um einen Mann handelte. Der Maskenträger schien zu merken, daß sie ihn beobachtete, und als er sich zu ihr umdrehte, blendete abermals ein Lichtblitz ihre Augen. Das Gesicht der Maske bestand aus einem Spiegel, der das Licht, die Farben und die Bewegungen im Raum reflektierte, sie bündelte, bis sie sich zu einem strahlenden Stern vereinigten, der von der tiefsten Schwärze
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