Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
bremsen?«
Tammis schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht ... Er sah aus, als hätte er noch nie darüber nachgedacht.
»Hätte Merovy dich auch dann hinausgeworfen, wenn du sie mit anderen Frauen betrogen hättest?«
Tammis schaute ihn an. »Wahrscheinlich.«
Gundhalinu merkte, daß er viel zu lange reglos dagesessen hatte und rückte sich in seinem Sessel zurecht. »Vielleicht ist euer wahres Problem gar nicht mal deine Veranlagung, sondern deine Untreue.«
»Mag sein ...« Tammis rieb sich die Augen und wand sich vor Verlegenheit. »Vielleicht ist das wirklich der Grund.«
»Dann solltest du darüber nachdenken, was dir mehr am Herzen liegt. Die Befriedigung deiner Bedürfnisse, die in dir nur einen Selbsthaß erzeugt, oder die Liebe zu deiner Frau.«
Tammis senkte den Blick; er schien sein Kleeblattmedaillon anzustarren. Nach einer Weile schaute er wieder hoch und fragte: »Kann ich jetzt gehen, Richter Gundhalinu?«
Gundhalinu nickte, enttäuscht und verwirrt über den plötzlichen Aufbruch. »Ja.«
Schwerfällig stand Tammis auf und zuckte vor Schmerzen zusammen. Nach kurzem Zögern fragte er: »Vielleicht sollte ich doch lieber meine Wunden versorgen, bevor ich gehe – wenn Sie nichts dagegen haben ...«
Gundhalinu deutete mit der Hand. »Dort entlang. Nimm dir, was du brauchst.«
Tammis durchquerte das Zimmer; in der Tür blieb er stehen und blickte sich um, ohne jedoch etwas zu sagen.
Gundhalinu hörte, wie er im Medizinschrank herumstöberte; nach einer Weile betrat er wieder den Flur und ging geradewegs zur Haustür. Im allerletzten Moment, ehe die Tür ins Schloß fiel, vernahm Gundhalinu das Wort »Danke«.
TIAMAT
Karbunkel
M ond Dawntreader stand allein, inmitten von hundert prächtig herausgeputzten, lärmenden Festteilnehmern, in der Großen Halle des Palastes. Rings um sie her wurde geschmaust und gezecht, gelacht und getratscht, gesungen und getanzt. Winterleute, Sommerleute und Außenweltler mischten sich bunt durch -einander; in ihren exotischen Gewändern und mit den Festmasken vor den Gesichtern waren sie ausnahmsweise einmal nicht voneinander zu unterscheiden.
Mond trug eine Maske, die Fate Ravenglass für sie angefertigt hatte – eine Nachbildung der Maske, mit der man sie zur Sommerkönigin gekrönt hatte; sie be stand aus grüngeschecktem Samt und hauchfeinen, in allen Regenbogenfarben schimmernden Gazeschleiern; sie zeigte die Blumenpracht der Berge, schillernde Vo gelschwingen, das Blau des Himmels und des Ozeans, in dem sich die goldene Sonne spiegelte. Mond versteckte sich dahinter; durch die Augenschlitze spähte sie auf die Gäste, wie jemand, der eine fremde Welt bestaunt. Sie nahm surreale Eindrücke von Farben und Bewegungen wahr, und jedes Geräusch hörte sie wie aus weiter Ferne.
Im Rhythmus der Musik ließ sie sich vom Strudel der Gäste mitreißen. Dieser nächtliche Maskenball bildete den Höhepunkt in einer schier endlosen Aneinanderreihung von Festivitäten, Banketten und öffentlichen Auftritten, an denen sie als Sommerkönigin teilnehmen mußte. Der an und für sich kurze Besuch der Hegemonischen Gesellschaft schien kein Ende zu nehmen.
Am Tag der Ankunft hatte sie gesehen, wie der Premierminister und sein Gefolge in ihrem Beisein das Wasser des Lebens getrunken hatten wie Süchtige. Um ihrem Zorn Ausdruck zu verleihen, hatte sie demonstrativ den Sternenhafen verlassen und sich in die Stadt zurückbegeben; doch jeder Feierlichkeit konnte sie nicht fernbleiben, denn dann hätte sie ihr Gesicht verloren und ihre Position bei den Außenweltlern gefährdet. Deshalb nahm sie an den Festen teil, wenn auch nicht mit ihren Gedanken; im Geist weilte sie weit draußen im Ozean bei den Mers, denn niemals durfte sie die große Vision, in die sie eingebunden war, aus den Augen verlieren.
Lustlos und ohne Illusionen besuchte sie diesen Maskenball, weil man es von ihr erwartete. Von den Gästen erkannte sie fast niemanden, und selbst wenn alle ihre Masken abgenommen hätten, wäre kaum ein Gesicht darunter gewesen, daß sie gern gesehen hätte.
Es war schon spät, und allmählich zerstreute sich die Menge; Paare fanden sich, um den Rest der Nacht gemeinsam zu verbringen. In dieser Nacht war traditionsgemäß alles erlaubt; man ermutigte die Menschen sogar, ihre Hemmungen abzulegen und mit der Reue erst bis zum nächsten Morgen zu warten, wenn ihre Vergangenheit in einem symbolischen Akt ins Meer versenkt wurde.
Es galt als schlechtes Omen, diese Nacht allein
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