Tief atmen, Frau Doktor!
immer gewußt, daß ich eine dermale Haut habe«, gab er beunruhigt zu. Er zögerte. »Und ich glaube, ich habe auch einen gastritischen Magen, Frau Doktor. Schon seit Jahren leide ich an einer Art Seekrankheit an Land.«
»Aber warum haben Sie denn nicht die anderen Ärzte zu Rate gezogen?« fragte Lucy äußerst erstaunt.
»Diese Bande?« fragte er verächtlich. »Fällt mir nicht im Traum ein. Ich habe ihnen nie getraut. Sie waren zu chaotisch.«
»Werden Sie uns vertrauen?« fragte Lucy bescheiden. »Auch wenn wir Frauen sind?«
Mr. Windows' Gesicht verzog sich langsam zu einem Lächeln. »Kümmern Sie sich nicht um mich, Frau Doktor. Ich kündige im Durchschnitt einmal die Woche. Das ist die einzige Möglichkeit, wie man gewürdigt wird.« Er wandte seinen Kopf in Richtung Wartezimmer. »Soll ich den Haufen da auf Vordermann bringen?«
Mr. Windows stieß die Tür auf. »So! Wer nimmt die rote Medizin?« fragte er grimmig. »Backbord, hierher. Wer nimmt die grüne? Steuerbord, dort drüben. Wer will einen freien Tag? Atteste unter das Hirschgeweih.«
Die Patienten bildeten gehorsam und schweigend Gruppen. »Soll ich ihnen etwas Heiteres auf meinem Harmonium Vorspielen?« machte sich Mr. Windows huldvoll erbötig. »Es hilft ihnen sehr dabei, sich die Zeit zu vertreiben.«
Die beiden Ärztinnen begannen zur Melodie von Großer Gott, wir loben dich mit ihrer Arbeit. Einige der Patienten stimmten mit ein. Offenbar übten die Vorführungen von Mr. Windows in der alten Stiftspraxis die gleiche Anziehungskraft aus wie einst Rag Dixon im großen Ballsaal in Blackpool.
»Aber Mr. Hargreaves!« rief Lucy aus und sah den Ingenieur mittleren Alters an, der ihr in ihrem engen Untersuchungszimmer gegenübersaß. »Wie lange nehmen Sie schon Ihre Medizin?«
»Fünfzehn Jahre, zwei Monate und vier Tage, Frau Doktor. «
Lucy runzelte die Stirn. »Hilft sie Ihnen?«
»Nun ja, sie schadet mir nicht.«
»Wissen Sie, warum Dr. Hill sie Ihnen verschrieben hat?« fragte sie, noch mehr erstaunt.
»Weiß ich nicht, Frau Doktor. Ich bin immer hergekommen, und Dr. Hill hat immer gesagt: >Sie möchten wohl wieder Ihre Medizin?< Er war ein so netter Herr, ich wollte ihn nicht kränken. Also sagte ich ja. Fünfzehn Jahre, zwei Monate und vier Tage lang.«
»Aber ich glaube nicht, daß Ihnen auch nur das geringste fehlt.«
»Ich auch nicht, Frau Doktor. Die letzten fünf Jahre habe ich sie nicht mehr genommen. Weil ich sie nicht wegwerfen wollte, habe ich die Flaschen in der Garage aufgestapelt. Es ist kaum noch Platz für den Mini. Aber Dr. Hill war zufrieden.«
Im Untersuchungszimmer nebenan beruhigte Fay die Mutter des kleinen Jungen, der ihr Fußtritte versetzt hatte. »Ich glaube wirklich nicht, daß Sie sich um seine zarte Gesundheit Sorgen machen müssen. Wenn Kinder keine Fußtritte austeilen, wenn sie herumsitzen und den Kopf hängen lassen, dann liegt Grund vor, sich Sorgen zu machen. «
»Das erleichtert mich wirklich sehr, muß ich sagen. Dr. Fellows-Smith sagte, wenn sein Jagdhund sich so benommen hätte, hätte er ihn einschläfern lassen.«
Fay lächelte und öffnete die Tür zum Untersuchungszimmer. »Dr. Fellows-Smith verwechselt nur deshalb Menschen und Tiere, weil er beide so sehr liebt.«
Und da stand Freddie selbst in der Tür. Lucys Patient hatte ihm den Rücken gekehrt und sagte gerade begeistert zur wartenden Menge: »Die neue Ärztin ist ein echtes Weltwunder. Kein Vergleich mit den alten Ärzten.«
»Guten Morgen, Dr. Fellows-Smith«, sagte Fay laut.
»Mami«, fragte der kleine Junge mit heller Stimme. »Darf ich der Frau Doktor einen Kuß geben?«
»Mir wollte er nie einen geben«, sagte Freddie barsch. »Ich habe nur hereingeschaut für den Fall, daß Sie Hilfe brauchen. Aber mir scheint, ich nütze der Praxis am meisten, wenn ich wieder zum Golfspielen zurückgehe.«
9
»Das ist ja der Erzdiakon«, sagte der Bischof. »Guten Abend, Bill. Sie sind hoffentlich wohlauf?«
Es war zwei Wochen später, Christi Himmelfahrt. Die Schwalben und die Touristen waren nach Mitrebury zurückgekehrt. Der Bischof schlenderte mit seinem Kaplan durch die warme Abenddämmerung von der Kathedrale zu seinem Palast.
Mr. Bellwether griff sich an die Weste. »Ich wünschte, es wäre so. Aber ich habe ganz schreckliche Magenschmerzen. Seit der Fastenzeit«, fügte er anzüglich hinzu.
»Niemand bedauert ihre Indisposition mehr als ich«, sagte der Bischof leichthin zu ihm. »Aber ich nehme an, es war zum
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