Tief im Herzen: Roman (German Edition)
umprogrammieren müssen.«
»Vielen Dank, daß Sie uns darauf aufmerksam gemacht haben.«
»Nur meine Pflicht als aufrechter Amerikaner.«
»Und ob«, murmelte Anna, als sie aufgelegt hatte.
Da sie um zwei Uhr einen Termin im Familiengericht hatte, schaltete sie ihren Computer ein und wollte die Datei aufrufen, in der sie ihre Berichte und Notizen speicherte.
Als ihr Computer den Dienst aufkündigte, verzichtete sie darauf, laut zu schreien. Sie lehnte sich nur zurück, schloß die Augen und akzeptierte, daß der Tag miserabel angefangen hatte.
Es kam aber noch schlimmer.
Sie wußte, daß ihrer Aussage vor Gericht große Bedeutung zukam. Die Akte zum Fall Higgins war vor fast einem Jahr auf ihrem Schreibtisch gelandet. Drei Kinder im Alter von acht, sechs und vier Jahren, waren alle physisch und emotional mißhandelt worden. Ihre Mutter, kaum fünfundzwanzig, wurde von ihrem Mann geschlagen. Im Laufe der Jahre hatte sie ihren Mann zigmal verlassen, war jedoch immer wieder zu ihm zurückgekehrt.
Vor sechs Monaten hatte Anna es geschafft, sie und ihre Kinder in einem Frauenhaus unterzubringen. Die Frau war nur knapp sechsunddreißig Stunden dort geblieben, dann hatte sie ihre Meinung geändert. Obgleich Anna tiefes Mitgefühl mit ihr hatte, ging es ihr in erster Linie um das Wohl der Kinder.
Ihre ernsten Gesichter, ihre Blutergüsse, ihre Angst, aber auch die Resignation in ihren Blicken setzten ihr zu. Sie waren bei einem Ehepaar in Pflege, das großherzig und stark genug war, um sie alle drei aufzunehmen. Und Anna wollte alles tun, um diese neue Familie nicht wieder auseinanderreißen zu müssen.
»Im Januar letzten Jahres, als ich diesen Fall übernahm, wurde den Eltern eine Therapie empfohlen«, erklärte Anna im Zeugenstand, »sowohl eine Familien- als auch Einzeltherapie. Die Empfehlung wurde nicht aufgegriffen. Auch nicht im Mai desselben Jahres, als Mrs. Higgins mit ausgerenktem Kiefer und anderen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, ebensowenig im September, als Michael Higgins, der älteste der drei Jungen, sich die Hand brach. Im November wurden Mrs. Higgins und ihre beiden ältesten Söhne in der Notaufnahme wegen verschiedener Verletzungen behandelt. Ich wurde benachrichtigt
und half ihr und ihren Kindern, einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen. Sie blieb nicht einmal zwei volle Tage dort.«
»Sie betreuen seit mehr als einem Jahr diesen Fall«, stellte der Anwalt fest.
»Ja, seit mehr als einem Jahr.« Anna empfand ihr Versagen schmerzhaft.
»Wie ist der aktuelle Stand?«
»Am sechsten Februar dieses Jahres traf eine Polizeistreife, die ein Nachbar benachrichtigt hatte, Mr. Higgins in betrunkenem Zustand an. Laut Bericht reagierte Mrs. Higgins hysterisch und mußte sich wegen Gesichtsverletzungen und Quetschungen ärztlich behandeln lassen, und Curtis, der kleinste, hatte sich den Arm gebrochen. Mr. Higgins wurde daraufhin in Gewahrsam genommen. Ich wurde kurz darauf von diesem Vorfall in Kenntnis gesetzt.«
»Haben Sie Mrs. Higgins und die Kinder an jenem Tag gesehen?« fragte der Anwalt.
»Ja, ich fuhr zum Krankenhaus und sprach mit Mrs. Higgins. Sie behauptete, Curtis sei die Treppe hinuntergefallen. Aufgrund der Art seiner Verletzungen und der vorangegangenen Vorkommnisse glaubte ich ihr nicht. Der diensthabende Arzt in der Notaufnahme teilte meine Meinung. Daraufhin wurden die Kinder in einer Pflegefamilie untergebracht, wo sie sich bis zum heutigen Tag befinden.«
Sie fuhr fort, Fragen, die ihre Arbeit und die Kinder betrafen, zu beantworten. Einmal entlockte sie dem zweitältesten Jungen ein Lächeln, als sie von der T-Ball-Mannschaft berichtete, in die er aufgenommen worden war.
Anschließend bereitete Anna sich innerlich auf den Streß des Kreuzverhörs vor.
»Sind Sie darüber informiert, daß Mr. Higgins sich freiwillig für einen Entzug angemeldet hat?«
Anna warf dem Pflichtverteidiger einen kurzen Blick zu, dann schaute sie dem Vater der Kinder offen ins Gesicht.
»Ich bin darüber informiert, daß Mr. Higgins im Laufe des vergangenen Jahres nicht weniger als dreimal behauptet hat, er habe sich für einen Entzug angemeldet.«
Sie sah, wie sich sein Gesicht vor Haß und Wut verzerrte. Soll er mich ruhig hassen, dachte sie. Sie würde schon dafür sorgen, daß er die Kinder nie wieder in die Finger bekam. »Ich weiß, daß er den Entzug immer wieder abgebrochen hat.«
»Alkoholismus ist eine Krankheit, Ms. Spinelli. Mr. Higgins bemüht sich jetzt um
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