Tief im Hochwald - Kriminalroman
auf der einen und übermäßige Strenge auf der anderen Seite. Eine Alternative wäre eine so enge Bindung an die Eltern, dass das Kind sich gar nicht frei entfalten kann. Viele dieser Menschen haben einerseits ein sehr geringes Selbstwertgefühl, zugleich aber das ständige Bedürfnis nach Anerkennung.«
»Was wiederum für Alexandra Stüber sprechen könnte«, warf Gunter ein.
»Wir haben doch mehrere Spuren: die Reifenabdrücke, eventuell Fingerabdrücke an den Cacheartikeln –«, begann Vanessa aufzuzählen.
»Fehlanzeige!«, fiel Bernadette ihr ins Wort. »Das war selbstverständlich das Erste, was wir untersucht haben, aber der Täter hat uns keine Visitenkarte hinterlassen. Er scheint immer Handschuhe getragen zu haben.«
Der Computerspezialist blickte abwechselnd auf sein Handy und sein Notebook und tippte immer wieder auf beidem herum. Vanessa wusste nicht so recht, ob er dem Gespräch gefolgt oder völlig in seiner eigenen Welt versunken war. Plötzlich sah er von seinem Smartphone auf. »Hier im Hunsrück mögen sich alle kennen, und jeder weiß angeblich alles vom anderen, aber ich dachte mir, es gibt immer jemanden, der noch mehr weiß. Darum hab ich mal Tante Google, gefragt und siehe da, sie weiß was, was nicht alle wissen.« Er schwieg und schien die Neugierde der anderen auszukosten. »Ich habe in einigen Foren, in denen Leute über Internate, in denen Menschen sexuellen Missbrauch durch Geistliche erfahren haben, diskutieren, immer wieder einen Namen gefunden: ›Der Trostspender‹. Immer wieder spricht er von seinen eigenen Erfahrungen und wie sehr ihn diese Kindheit und Jugend geprägt habe, davon, dass er sich niemandem mehr anvertrauen könne, dass sein Sexualleben geprägt sei von Wahllosigkeit, Verachtung und Gleichgültigkeit bis hin zu Gewalt gegenüber seinen Sexualpartnern, wobei offenbleibt, ob es sich um männliche oder weibliche Personen handelt. Mensch, Charlotte, da wäre es wichtig gewesen, wenn sich Psychologen, vielleicht gerade Polizeipsychologen in diese Foren eingeklinkt hätten. Diese Menschen sind krank, und ich glaube, es ist vielen von ihnen nicht bewusst. Sie leben das Leben, das ihnen als Kinder und Jugendliche als gut und richtig vorgelebt wurde. Sie haben einer Respektsperson, einer Vertrauensperson geglaubt, sie haben diese frühen Erfahrungen als Maßstab genommen, und sie sind sich nicht alle dessen bewusst, welche Fehler sie in ihrem Leben gemacht haben.«
Charlotte erwiderte: »Du meinst, dieser ›Trostspender‹ ist, aus welchen Gründen auch immer, zu sich gekommen und reflektiert über sein Leben? Aber was verleitet ihn dazu, zu morden, statt zu büßen?«
»Buße hat mit Kirche zu tun, und das ist das Letzte, woran er denken würde«, brummte Gunter.
Auf Charlottes Betreiben hin rief Vanessa von der Wache aus noch einmal bei Frau Dr. Schulze-Obersehr auf dem Handy an. Sie fragte, ob die Ärztin, da diese den halben Hochwald in ihrer Patientenkartei hatte, einen Patienten habe, auf den die Beschreibung einer neurotisch-depressiven Störung passen könnte. Insbesondere wollte sie wissen, ob ihr im Zusammenhang mit Trost eine psychische Störung bekannt sei. Die Ärztin war erstaunt. Sie kannte Rolf Trost zwar, aber nur aufgrund einer üblen Schnittverletzung an der Hand, die sie ihm einmal genäht hatte, und von einem hartnäckigen Husten, der vermutlich auf den Staub in seiner Werkstatt zurückzuführen war.
»Wenn ich es mir recht überlege, glaube ich nicht, dass er so selten zum Arzt geht. Wahrscheinlich hat er normalerweise einen Arzt in Trier oder in Köln, wo er früher gewohnt hat. Fragen Sie mal den Apotheker, vielleicht weiß der, welche Medikamente Trost nimmt«, schlug die Ärztin vor.
»Haben Sie die Telefonnummer? Ich müsste ihn doch privat erreichen«, sagte Vanessa matt.
»Ich versuche, ihn anzurufen, das ist bestimmt einfacher, als wenn Sie es tun, ich meine, wegen der Schweigepflicht. Nicht, weil Sie keine Ärztin sind, sondern weil Sie nicht von hier sind. Ich rufe Sie zurück, sobald ich mehr weiß.«
»An der Cachedose habe ich einen feinen Staubfilm gefunden, mit bloßem Auge nicht sichtbar, die Untersuchungen laufen derzeit«, sagte Bernadette, als Vanessa aufgelegt hatte. »Das Sudoku aber hat unser Freak mittlerweile lösen können.« Alle sahen den Computerspezialisten an.
»Die drei eingekreisten Ziffern ergeben vermutlich die gesuchte Zahl, die Frage ist nur, in welcher Reihenfolge.« Er tippte auf seinem Notebook
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