Tief im Hochwald - Kriminalroman
Material ein Kunstwerk erschaffen. Aber wenn diese Aura zerstört wird, wird das Werkstück wertlos und lässt sich nicht mehr verwandeln. Es ist sozusagen entweiht. Wenn Sie sich hier also umsehen, könnte das meine Existenz gefährden. Sie haben dafür sicher Verständnis?«
»Ich schlage Ihnen vor, dass wir uns woanders unterhalten. Unsere Polizeiwache hat keine Aura, nicht einmal eine Atmosphäre, da sind wir gänzlich ungestört von bösen Einflüssen.« Gunter packte Trost am Arm, der sich wehrte.
Vanessa zog ein Paar Handschellen hervor. »Kommen Sie freiwillig mit, oder müssen wir Ihnen Handschellen anlegen? Für den Fall würde ich vorschlagen, dass wir den Wagen stehen lassen und die paar Minuten durch Hellersberg zu Fuß zurücklegen. Es sind so viele Hellersberger am Feiertag zu Hause, die sind immer froh, wenn ihnen etwas geboten wird.«
Trost sah auf die schweren Sicherheitsschuhe an seinen Füßen. »Ich weiß zwar nicht, was Sie sich davon versprechen, aber meinetwegen können wir gehen«, willigte er ein. »Was werfen Sie mir überhaupt vor?«
»Herr Trost, das klären wir gleich auf der Wache. Sie können von dort auch gern einen Anwalt hinzuziehen«, erläuterte Gunter Hermesdorf geschäftsmäßig.
Auf dem Hof vor dem Haus stand ein alter, klappriger Lieferwagen, mit dem Trost sicherlich seine Rohlinge und seine fertigen Kunstwerke transportierte.
»Ist das Ihr einziges Auto?«, fragte Vanessa.
»Nein, ich habe zusätzlich einen Geländewagen in der Garage. Im Hunsrück liegen manchmal gefühlte sechs Monate Schnee, da braucht man einen Wagen, mit dem man überall und jederzeit durchkommt.«
An der Tür der Polizeiwache hing ein Schild: »Vorübergehend nicht besetzt«. Vanessa schloss die Tür auf, und sie gingen gemeinsam in den hinteren Teil der Wache und boten Rolf Trost einen Platz vor einem der Schreibtische an. Vanessa und Gunter setzten sich hinter den Schreibtisch und schalteten ein Diktiergerät ein, Charlotte setzte sich vor Kopf.
»Herr Trost, Sie wissen, wann die Morde geschehen sind, aber ich habe Sie Ihnen einmal zur Verdeutlichung aufgeschrieben«, sagte Gunter und schob Trost eine kalendarische Monatsübersicht zu, auf der er die Morde markiert hatte. »Ich hoffe für Sie, dass Sie sich genau erinnern, was Sie wann gemacht haben.«
»Wie sollte ich? Ich bin Künstler, kein Arbeitnehmer, der Montag bis Freitag ins Büro läuft und dafür zig Zeugen hat. Ich arbeite an meinen Skulpturen, manchmal arbeite ich die ganze Nacht durch und schlafe tagsüber. Ich habe da keinen festen Rhythmus und häufig überhaupt kein Zeitgefühl. Welcher Wochentag ist heute? Ach ja, ab und zu verlasse ich die Werkstatt, um Material einzukaufen. Oder um in der ›Post‹ einen zu trinken. In letzter Zeit war ich wegen dieses Handwerkermarktes häufiger in Hellersberg unterwegs. Zeugen? Alle und keinen. Fragen Sie rum, wer sich konkret daran erinnert, wann er wo war. Und wann ich auch da war. Ich bin sicher, derartige Aussagen wird Ihnen jeder Anwalt vor Gericht in der Luft zerreißen können.«
»Sollten Sie unschuldig sein, wünsche ich Ihnen, dass die Leute sich erinnern können«, sagte Vanessa. »Kennen Sie den Saar-Hunsrück-Steig?«
»Selbstredend, den bin ich schon oft gegangen, weil die Natur mich inspiriert.«
»Und wie sieht es mit dem Ruwer-Hunsrück-Radweg aus?«, fragte Gunter.
»Natürlich kenne ich den auch. Mein Fahrrad ist mir allerdings im Frühjahr gestohlen worden, ich bin aber seitdem Teile des Weges zu Fuß gelaufen.«
»Auch gestern?«, wollte Vanessa wissen.
Trost sah sie verständnislos an und schüttelte den Kopf.
»Hatten Sie Frau Ostermann als Religionslehrerin?«, fragte Gunter.
»Selbstverständlich, es gab ja damals niemand anderen.«
»Aber zu ihrer Beerdigung sind Sie nicht gegangen?«, hakte Vanessa nach.
»Warum sollte ich? Die wäre auch nicht zu meiner gekommen. Ich kannte die alte Hexe kaum und war froh, dass ich nix mehr mit der zu tun hatte. Mal ehrlich, es ist doch bestimmt auch sonst keiner hingegangen. Außerdem habe ich mit Kirche sowieso nix am Hut und schon gar nichts mit Beerdigungen, da gehe ich aus Prinzip nicht hin.«
»Sie waren demnach auch nicht auf Gieselind Jungbluts Beerdigung?«, fragte Vanessa. Bislang hatte es keine Zeugen für Trosts Anwesenheit gegeben.
»Na, Frau Kommissarin, Sie scheinen das System ja durchschaut zu haben. Wenn ich nichts mit Kirche zu tun habe, gehe ich auch nicht auf Beerdigungen.«
»Hatten Sie mit
Weitere Kostenlose Bücher