Tief im Hochwald - Kriminalroman
heran.« Sie legte Hajo einen Arm um die Schultern und nahm ihm das Geschirrtuch aus der Hand. »Aber wem erzähle ich das? Du hast ja selbst deine Frau verloren, du weißt, wovon ich spreche. Du hast jedenfalls schon so viel für mich getan und mir so viel geholfen, du bist bei mir weit jenseits jeden Verdachts, aber wir Polizisten ticken eben so, nimm es uns nicht übel.«
Vanessa kehrte zum Spülbecken zurück, trocknete die letzten zwei Tassen ab und stellte alles auf einem der Schreibtische für den nächsten Morgen zusammen.
»Darf ich dich nach Hause bringen?«, fragte sie Hajo versöhnlich.
»Danke, ich bin doch mit dem Trecker da«, antwortete er.
»Trinken wir noch einen Viez zusammen in der ›Post‹?«, fragte Vanessa.
»Nein, ich möchte jetzt gern nach Hause, aber komm doch in einer Stunde bei mir vorbei, ja?«
»Weißt du, was ich letzte Woche erlebt habe?«, fragte Hajo lachend und schwenkte ein Glas Dornfelder Rotwein im Schein des Kaminfeuers.
Nach Dienstschluss hatte Vanessa heiß und lange geduscht und sich umgezogen. Sie trug nun eine bequeme Jeans und ein weites Sweatshirt.
»Ursula hatte mich gefragt, ob ich am Donnerstag mit nach Trier ins Theater fahren wollte«, erzählte Hajo. »Ich glaube, es gab Shakespeare, ich habe doch keine Ahnung davon. Irgendjemand war krankheitsbedingt ausgefallen, und der Handarbeitskreis hatte eine Karte und somit auch einen Sitzplatz im Bus übrig. Als wir in Trier ankamen, war das Stück schon in vollem Gange, weil der Bus viel zu spät in Hellersberg losgefahren war und wegen einer Großveranstaltung von der Autobahn bis zum Theater Ewigkeiten gebraucht hatte. Die Platzanweiserin ließ uns nur rein, weil wir eine ganze Reihe für uns hatten und niemand extra für uns aufstehen musste. Die Ersten saßen schon auf ihren Plätzen, als es auf der Bühne hieß: ›Wer seid ihr, und wo kommt ihr her?‹ Da drehte sich eine der Frauen, ich glaube, du kennst sie nicht, zur Bühne um und sagte mit lauter Stimme: ›Wir sind die katholischen Landfrauen aus Hellersberg, und unser Bus hatte Verspätung!‹ Das hatte aber Hamlet, oder wer auch immer da vorn gerade stand, gar nicht wissen wollen, aber damit war er völlig aus dem Konzept gebracht. Das Publikum brüllte vor Lachen, Vorhang, nächster Versuch. Als die Stelle wieder drankam, lachte das Publikum natürlich automatisch, und der Schauspieler musste, ebenfalls lachend, stocken. Vorhang, Pause. Nach dem dritten Vorhang haben sie diese Szene einfach übersprungen.«
Das Lachen tat gut, aber anschließend versank Vanessa tief in Gedanken, und Hajo ließ ihr Zeit, bis sie bereit war, das Schweigen zu brechen.
»Es tut gut, mit dir zu lachen und über etwas anderes zu sprechen als immer nur über diese Todesfälle. Im Grunde dürfte ich dich als Zivilisten ja sowieso nicht einweihen, aber ich wüsste nicht, was ich ohne den Austausch mit dir machen würde. Meine Gedanken kreisen trotzdem die ganze Zeit um diese Mordserie. Ich frage mich: Was geht in unserem Mörder vor? Ich kann keine Systematik erkennen. Anfangs wirkte jeder Mord so gut überlegt, dass wir nicht einmal einen Zusammenhang erkennen konnten und noch an zufällige Morde geglaubt haben. Was Schusters Tod angeht, weiß ich bis heute nicht, ob er ein zufälliges Opfer war oder ob der Mörder ihn an die Stelle gelockt hat, an der die giftigen Pilze wachsen. Der Tod des Metzgers war noch dubioser, aber der Mord an Rommelfanger passt in kein Schema mehr, weil er so ungeplant wirkt. Es scheint reiner Zufall gewesen zu sein, dass Rommelfanger an die Ruwer gegangen ist. Hatte der Mörder das inszeniert? Hatten die beiden sich vorher getroffen? Wir wissen nicht, ob Schuster ebenfalls ein Missbrauchsopfer des Pastors war. Jungblut war vielleicht ein Opfer, das wissen wir nicht mit Gewissheit, aber Rommelfanger ganz sicher. Ich überlege langsam, ob es nicht sogar der Pastor ist, der seine Missbrauchsopfer mundtot machen möchte, bevor diese zu viel verraten können. Hätte er nicht heute den ganzen Tag über in der ›Post‹ gesessen und getrunken, was nicht nur Ruth Eiden bezeugen konnte, hätte ich ihn direkt noch mal einbestellt. Ich weiß nicht, was das Ganze soll. Wenn das Ziel nicht der Pastor ist, könnte der Täter diese Menschen auch einfach so umbringen, aber mit den Caches möchte er uns bestimmt etwas sagen. Er möchte, dass wir nachforschen und ihm auf die Spur kommen, als wollte er, dass wir ihn auf frischer Tat ertappen oder ihm sogar
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