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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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nicht länger als eine Sekunde ruhte. Wortlos bezahlte er und hastete zu seinem Wagen zurück.
    Kaum saß er darin, war die Versuchung doch größer als die Eile. Er nahm eine der blauen Flaschen in die Hand, öffnete den Verschluss und roch daran. Sofort stieg ihm der unvergleichliche Duft in die Nase, arbeitete sich von dort aufwärts ins Gehirn, verteilte sich bis in die kleinsten Windungen und aktivierte jene Erinnerungen, die untrennbar mit diesem Duft verbunden waren. Sein Blick wurde glasig, die Augen nutzlos, denn sie sahen nichts anderes mehr als den alten Film, den sein Gehirn nun abspulte. Eine Sonne, die es an diesem Morgen nicht gab, brach durch die Wolkendecke, ihre Strahlen fielen auf die Windschutzscheibe des Wagens, erwärmten sich wie durch Zauberhand, streichelten sein Gesicht und zauberten ein Gefühl von Sommer herbei.
    Sommer …
    Wärme...
     
    ... das angenehme Gefühl, der ganze Körper sei eingehüllt in Wärme, Zufriedenheit und Glück. Einfach dazuliegen,
sich auszustrecken, die geschlossenen Augen dem Himmel zugewandt, so dass selbst hinter den Lidern noch Helligkeit war, und einfach alles vergessen können, was sein Leben so schwer erträglich erscheinen ließ.
    Es gab ja auch schöne Zeiten! Zeiten, in denen sie eine richtige Familie waren, auf sich aufpassten, Spaß hatten, Eis essen gingen. Oder ins Schwimmbad, so wie heute.
    Seit zwei Wochen war der Sommer da, und irgendwie hatte die Sonne es geschafft, den Vater zu verwandeln. Er war geradezu sanftmütig, und in dem Jungen wuchs die Hoffnung, dass nun alles anders werden würde. Besser. Er hörte einfach nicht auf die lästige kleine Schranze, die in seinem Hinterkopf ständig bissige Kommentare von sich gab. Ja, er wusste, dass diese Hoffnung schon so oft kaputt gemacht worden war, dass Enttäuschungen an der Tagesordnung waren, aber was würde aus ihm werden, wenn er die Hoffnung ganz aufgab? Was würde dann passieren? Würden sich dann diese Regungen, die bislang noch tief in seinem Inneren gefangen waren, befreien?
    Sie waren nach dem Mittag aufgebrochen. Mit dem Auto des Vaters zum Schwimmbad war es eine Fahrt von mehr als einer halben Stunde. Er war guter Laune, hatte ihn sogar hinten die Fenster aufdrehen lassen und das Radio ganz laut gestellt. Sie hatten mitgesungen, Sommerlieder, »Summer of 69«, und Mutter hatte den Kopf aus dem Fenster gehalten, und der Wind hatte ihr wunderschönes goldenes Haar zerzaust.
    So ein glücklicher Moment!
    Im Schwimmbad war es voll.
    Seine Schüchternheit kehrte zurück. Dagegen konnte er nichts tun, dagegen konnte auch gute Laune nichts tun. So viele Menschen auf engem Raum, alle fast nackt, überall
Haut, braun, weiß, rot, verschwitzt, eingeölt, alle Variationen waren vorhanden.
    Und alle waren normal!
    Gern hätte er seine Decke an einem geschützten Platz hinter einer Hecke ausgebreitet, doch der Vater wollte in die Sonne, nahe ans Becken, wo das Leben tobte, wo er die jungen Mädchen in den knappen Bikinis beobachten konnte. Und wie er sich wieder in Szene setzte, als er sich seiner Kleidung entledigte. Im Stehen natürlich, alle sollten ihn sehen, seine sehnigen, dicken Muskeln, entstanden durch hartes Bodybuilding. Er war ein Angeber, und sein Ego nährte sich von den Blicken anderer. Leider fanden sich immer welche, die glotzten, die mit dem Finger zeigten, Frauen, die ihre Blicke länger als notwendig auf seinem Körper ruhen ließen.
    Er genoss, Mutter ignorierte es, und der Junge … spürte Hass und Neid und hasste sich selbst dafür, dass der Neid überwog.
    Würde es etwas ändern, wenn er sich auch solche Muskeln antrainierte? Würde seine Schüchternheit verschwinden oder nur eingesperrt werden hinter einem dicken Panzer aus hartem Fleisch, an dem Blicke und Gefühle abprallten?
    Der Junge wollte sich an einem solchen Tag nicht damit beschäftigen, wollte sich einfach nur freuen, genießen, glücklich sein. Er setzte sich auf das große Handtuch und zog sich aus. Natürlich hatte er die Badehose schon zu Hause untergezogen. Sein Körper war lang und sehnig, der Ansatz zu guter Muskulatur war vorhanden. Seine Haut war weiß, er setzte sich kaum einmal der Sonne aus. Er blickte an sich hinunter und fühlte sich wie ein Außerirdischer. War er ein Mensch?

    »Kommt, wir gehen ins Wasser!«
    Der Vater zog Mutter hinter sich her.
    Sie sah atemberaubend aus in ihrem Bikini, ihre schlanken Fesseln, die wohlgeformten Muskeln ihrer Oberschenkel, die goldenen Haare. Nur wenige blaue

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