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Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde

Titel: Tief im Wald und unter der Erde - Winkelmann, A: Tief im Wald und unter der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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sich fürchten musste – von ihrer eigenen
Spezies mal abgesehen -, und trotzdem war da so ein Gefühl in ihr, das sich rational nicht erklären ließ.
     
    Schwer prasselte der Regen hernieder, fette Tropfen schlugen gegen die Kapuze, lullten ihn mit ihrem Stakkato ein, liefen in Sturzbächen an dem glänzenden Plastik hinab und versickerten im Boden. Mit dem Regen war die Dunkelheit in den Wald zurückgekehrt, ein diffuses, graues Dreckslicht, verwaschen und unecht, das sich in Flüssigkeit zu verwandeln schien, eine zähe, giftige Substanz, die an den Blättern herabperlte, sich in Pfützen sammelte und den Erdboden zu verseuchen trachtete. Auch drang es durch das wasserundurchlässige Plastik seiner Kleidung und durch seine Haut in seinen Körper ein, vermischte sich mit seinem Blut zu einer wässrigen Nährlösung des Hasses und der Wut, füllte noch die feinsten Kapillaren und schien seinen Körper bersten lassen zu wollen.
    Seit zwei Stunden wartete er, und in jeder Minute, die verstrich, wuchs der Hass in ihm, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben war, ein Ventil dafür zu öffnen. Er würde daran ersticken wenn nicht bald etwas geschah. Noch hatte er sich unter Kontrolle, noch wartete er auf die Rückkehr jener, die mit dem zivilen Polizeifahrzeug gekommen waren.
    In sein schwarzes Ölzeug gekleidet lehnte er sitzend an einem Baumstamm, verborgen im Unterholz, eins geworden mit der Umgebung. Seinen Wagen hatte er anderthalb Kilometer entfernt in einem schmalen Waldweg geparkt. Er wusste, dass er damit ein Risiko einging. Schlauer wäre es gewesen, wieder nach Haus zu fahren und die Sache für heute abzubrechen. Doch das konnte er nicht. Viel zu sehr verlangte es ihn danach, sich mit der Neuen zu beschäftigen.
Außerdem wollte er herausfinden, wer zu dem Zivilwagen der Polizei gehörte.
    Also wartete er und litt.
     
    Geräusche!
    Stimmen!
    Frauke Wendtland setzte sich aufrecht hin, starrte in die perfekte Dunkelheit, konzentrierte sich aber nur auf ihr Gehör. So sehr, dass sie das Blut in den Ohrmuscheln rauschen hören konnte. Hatte sie sich getäuscht? Hatte ihr Wunschdenken ihr einen grausamen Streich gespielt? Nein, es musste so sein! Denn ganz bestimmt suchten sie längst nach ihr, vielleicht liefen gerade jetzt irgendwo da draußen Polizisten herum und riefen ihren Namen.
    Frauke schrie, schrie, schrie.
    Lauter als sie jemals in ihrem Leben geschrien hatte.
    Zwischendurch fiel ihr ein, dass es ja auch ihr Entführer sein könnte, den sie gehört hatte, aber es war ihr egal. Sie schrie weiter. Bald schmerzte ihr Hals, ihr Herz begann zu rasen und ihre Stimme wurde leiser. Irgendwann gab sie es auf. Niemand konnte unablässig mit solcher Kraft schreien. Sie hörte auf und lauschte wieder. Lange. Konzentriert. Schließlich verlor sie die Hoffnung. Wer auch immer dort gewesen war, er war fort, hatte sie nicht gehört oder nicht hören wollen.
    Die einsame Stille kehrte zurück, eroberte das finstre Gewölbe, und mit ihr kam auch die Angst. Frauke hatte sich immer für eine starke, furchtlose Frau gehalten, hatte sich nie irgendwas gefallen lassen, und über Frauen, die sich nachts nicht mehr hinaustrauten, hatte sie nur gelacht. Damit war jetzt Schluss. In diesem Verlies lernte sie die Angst kennen.

    Zunächst war sie nur aus der Dunkelheit geboren und aus den Geräuschen, die fremd und eigenartig klangen. Doch daran hatte sie sich schnell gewöhnt, und die Angst, die nun vorherrschte, war sogar noch schlimmer. Denn sie befasste sich mit dem, was passieren würde, wenn er zurückkam.
    Frauke sank auf das stinkende Lager, schloss die Augen, versuchte ruhig zu atmen.
    Sie wünschte sich an einen anderen Ort, in ihre kleine Wohnung, in die Küche, streitend mit Mandy, weil der Abwasch mal wieder nicht erledigt war. Mit Mandy hatte sie in den letzten Wochen viel gestritten. Die Pubertät, das war normal. Wie gern würde sie jetzt mit ihrer Tochter streiten!
    Was sollte sie tun, wenn er zurückkam?
    Was konnte sie tun?
    Frauke wusste, dass sie die Zeit, die ihr noch blieb, nutzen musste. Einen Plan machen, sich zumindest in Gedanken etwas zurechtlegen. Ob es dann später funktionierte oder nicht, spielte keine Rolle. Hauptsache, sie bekam ihre Gedanken und ihre Angst unter Kontrolle. Nur durch Kontrolle würde sie es schaffen, mit dem Perversen fertig zu werden.
    Bilde dir doch nichts ein , sagte die kleine Stimme im Hinterkopf. Was glaubst du eigentlich? Du wirst hier unten sterben, oder hast du schon mal

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