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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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Seitenstraße verschwunden. Rattigan klappte den Mund zu. Er sprang ins Auto, schlug die Tür hinter sich zu und schrie den Chauffeur an, er solle ihr folgen. Das Auto bewegte sich nicht.
    »Fahren Sie! Warum fahren Sie denn nicht? Na los doch!«
    Nichts geschah, und er presste die Hände an die Schläfen. Als er merkte, dass er die Gegensprechanlage nicht eingeschaltet hatte, war es schon zu spät. Ally war verschwunden.
    *  *  *
    In Brighton war die Menschenmenge auf Tausende angewachsen, aber die Leute befolgten, ebenso wie die Presse, Roddys Anweisungen und bemühten sich, so wenig Lärm wie möglich zu machen – bis jetzt. Die Atmosphäre war ungewöhnlich. Es war eine Frage der Geometrie: Der Wal lag riesig in der Mitte, umgeben von einer hufeisenförmigen Menschenmenge. Aber es lag auch an der Musik: Yo-Yo Mas zarte Interpretation von Bachs Cello-Suiten drang aus Lautsprechern.
    Roddy summte mit, während er beim Wal stand und ihn hinter dem Auge streichelte.
    »Ich habe mich immer gefragt, wie er wohl sein würde«, sagte Kamala Mohandhas leise zu Roddys Assistent Whitaker, der mittlerweile aus London eingetroffen war. Sie beobachteten Roddy. »Jeder kennt die Filmaufnahmen, wie er vor Jahren als berühmter Aktivist in diesen kleinen Greenpeace-Booten die großen Walfänger angegriffen hat. Aber mittlerweile hält er sich ja ziemlich zurück.«
    »Er hasst die Presse und das Rampenlicht.«
    »Er kommt mir sehr unkonventionell vor«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
    Äh, ja, dachte Whitaker.
    »Ich meine, es ist doch ein bisschen seltsam, einem Wal Musik vorzuspielen.«
    »Haben Sie jemals das Lied des Buckelwals gehört?«, fragte Whitaker.
    »Von wem ist es?«
    »Von einem Buckelwal.«
    »Oh, ach so. Ja, ich habe mal etwas darüber gelesen, habe es mir aber noch nie angehört.«
    »Es ist äußerst komplex, wunderschön. Die Aufnahmen sind mehrere Hunderttausend Mal verkauft worden. Sie wissen doch sicher, dass Ärzte und Therapeuten sie bei Depressionen einsetzen, weil die Musik so aufmunternd ist?«
    »Ist das schon wieder ein schlechter Scherz?«
    Sie unterhielten sich erst seit einer halben Stunde, aber Kamala war bereits auf mehrere alberne Scherze hereingefallen. Langsam ging ihr das auf die Nerven.
    »Das ist die absolute Wahrheit.«
    »Und was hat das mit Bach zu tun?«
    »Nun, Sie haben ja sicher schon mitbekommen, wie wichtig es für gestrandete Wale ist, so entspannt wie möglich zu sein, damit sie länger aus dem Wasser bleiben und somit ihre Überlebenschancen verbessern können – ihre Musik scheint uns zu entspannen, und unsere Musik bewirkt das Gleiche bei ihnen.«
    Kamala überlegte kurz.
    »Aber warum gerade Bach?«
    »Wale stehen nicht so auf Guns n’ Roses.«
    Eine Welt vom menschlichen Dialog entfernt war Roddy ganz allein mit Blackfin. Er war bis auf die Haut durchnässt, und seine Augen brannten von dem ständigen Sprühnebel aus Meerwasser, aber er streichelte das Tier immer weiter. Er versuchte, Vertrauen herzustellen. Schon jetzt stellte er fest, dass der Stresslevel abgenommen hatte. Er murmelte sanfte Worte und projizierte bewusst positive, freundliche Gedanken.
    »Okay«, sagte er schließlich, »sind wir so weit?«
    Es war Zeit für ein bisschen Wissenschaft. Er brauchte eine Hautprobe zur Analyse im Labor. Natürlich wusste er, dass die Haut von Pottwalen zum Schutz gegen Infektionen ständig abgescheuert wurde. Also ging er den Körper des Wals entlang, um nach einem Stück Haut Ausschau zu halten, das er nur noch abzuziehen brauchte. Er machte zwei mögliche Bereiche aus, einen direkt hinter der linken Schwimmflosse und einen, der sich höher und weiter hinten befand, oben am Rücken. Während er noch überlegte, für welche Stelle er sich entscheiden sollte, fiel ihm etwas auf, das ihm bisher entgangen war. Auf dem runden Buckel, der die Rückenflosse umgab, war ein schwarzer Fleck. Roddy runzelte konzentriert die Stirn.
    Whitaker und Kamala merkten nichts von Roddys intensivem Interesse an der Rückenflosse des Wals. Whitaker redete mittlerweile über sein Liebesleben, ein Thema, das er vor jedem ausbreitete, der ihm zuhörte.
    »Wissen Sie, was ich meine?«, fragte er.
    »Oh, absolut«, erwiderte Kamala. Es verwirrte sie, dass er sich einer völlig Fremden anvertraute.
    »Ich meine, so wie ich es sehe, ist es nur eine Frage der Statistik.«
    Sie nickte höflich. Anscheinend erwartete er, dass sie etwas sagte.
    »Also, äh …«, begann sie. »Nun … Was

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