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Tief

Tief

Titel: Tief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Croft
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nicht mehr sehen musste, dachte er noch: Soll sie es doch auf ihre Kappe nehmen, wenn eine zweite Massenstrandung erfolgt.
    *  *  *
    Der Bentley glitt durch die Straßen hinter King’s Cross, wo die glitzernden Lichter und der Chrom einer trüben Umgebung wichen. Für Rattigan spiegelte diese Gegend die Widersprüchlichkeit seiner eigenen inneren Landschaft wider. Vielleicht lag es an den viktorianischen Lagerhäusern und den leeren Grundstücken, den Gastanks, den Lastwagen und den kleinen Leuten, die hier arbeiteten, schliefen und starben. Ich bin wie ein Hund, der sein eigenes Erbrochenes aufleckt, dachte er; die Hälfte der Jungs aus dem Waisenhaus endete in Straßen wie dieser hier, als Kriminelle, als Bettler oder als Süchtige.
    Während der Bentley leise schnurrend an einer Gruppe glotzender Arbeiter vorbeifuhr, drückte Rattigan sein Handy ans Ohr.
    »Das ist enttäuschend … Ich verstehe … Ich hatte gehofft, es gäbe einen dunklen Punkt in seinem Leben … Das gibt es doch bei jedem … Warten Sie, ich bin gleich wieder bei Ihnen, legen Sie nicht auf.«
    Er hatte draußen eine Prostituierte entdeckt. Sie war bestimmt nicht älter als fünfzehn und brauchte so dringend einen Schuss, dass sie ihm im hellen Tageslicht ihre Brüste darbot. Er ließ den Wagen anhalten. Etwa zwanzig Sekunden lang blickte er sie durch die Einwegscheibe an. Dann glitt das Fenster herunter. Der Multimillionär musterte das Gesicht der kindlichen Prostituierten und dachte: Sie hat das Gesicht eines Opfers, eines Engels. Schreckliche Visionen aus der Vergangenheit stiegen in ihm auf: Er war etwa dreizehn und hatte Sex mit einem Mädchen gleichen Alters, einer übel ausgebeuteten Sexsklavin des staatlichen Fürsorgesystems, während sein Sozialarbeiter zuschaute und sie anfeuerte … Schweißperlen bildeten sich auf Rattigans Stirn. Er blinzelte.
    »Kommen wir ins Geschäft?«, fragte das junge Mädchen.
    Er antwortete nicht, sondern musterte sie nur.
    »Hast du einen Schuss?«, fragte sie.
    »Warst du im Heim?«, fragte er.
    Keine Antwort. Schweigend zückte er sein Portemonnaie und zog eine Zwanzig-Pfund-Note heraus. Vorsichtig nahm sie das Geld entgegen. Das Licht in ihren Augen erlosch, als sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckte. Rattigan hinderte sie daran, die Tür zu öffnen. Stattdessen gab er ihr eine Visitenkarte vom Dewdrop House.
    »Nimm dir von dem Geld ein Taxi und fahr zu diesem Ort«, sagte Rattigan. »Lauf deinem Zuhälter weg, sofort, gib es nicht für Crack oder sonst etwas aus, sondern fahr sofort dorthin. Sofort! Sie kümmern sich um dich, niemand wird dich missbrauchen oder ausnutzen. Niemand wird dich im Stich lassen. Sag ihnen, wie alt du bist, sag ihnen, dass du süchtig bist, sag ihnen, dass du eine Prostituierte bist. Lass dir helfen, sonst bist du in einem Jahr tot.« Das Auto fuhr wieder an. »Verdirb es nicht«, bat er und blickte auf das spärlich gekleidete junge Mädchen, das ihn aus leeren, verständnislosen Augen ansah.
    Stöhnend sank er auf seinen Sitz zurück, wischte sich das Gesicht mit dem Taschentuch ab und griff erneut zum Handy.
    »Da bin ich wieder … Mhm … besonders schmutzig ist das nicht, aber wenn es mehr nicht zu holen gibt … Lassen Sie es vorsichtig durchsickern … Benutzen Sie diese Journalistin … Kate Gunning … Sie scheint etwas gegen unseren Freund zu haben …«
    Er sah auf seine Armbanduhr; die Information konnte es unter Umständen in die Spätnachrichten schaffen.
    »Das andere Thema ist wichtiger … Diesen Derek Petersen zu überreden, mit uns zusammenzuarbeiten … Ich übe nicht gerne solchen Druck aus, ich bin nicht die Mafia … Oh, unser Mann, ich weiß, er ist sehr überzeugend, aber Akademiker sind seltsame Leute, es könnte sich als problematisch erweisen … Ich bezweifle, dass Geld funktioniert, aber sorgen Sie dafür, dass er viel angeboten bekommt, und wenn das nichts bewirkt … Und die Fotos sind gemacht worden? … Hervorragend … Himmel, nein, ich will sie doch nicht sehen.«
    Als er zu Ende telefoniert hatte, schaltete er sofort den Fernseher ein; ständig gab es neue Nachrichten über die Ereignisse am Strand, und er wollte auf dem Laufenden sein.
    »Die vorherrschende Stimmung ist Abscheu«, berichtete ein Reporter ins Studio. »Als die sogenannten ›Einkerbungen‹ bei den Walen stattfanden, wurden Buhrufe in der Menge laut, und es gab einige Personen, die versuchten, die Absperrung zu durchbrechen.«
    »James, das Argument für

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