Tiefe Sehnsucht - stärker als alle Vernunft
entgegengekommen, denn auch sie wollte keine richtige Bindung. Schließlich hatte sie ihren Job in Kalifornien und immer noch vor, nach Ablauf eines Jahres ihr Leben in Kalifornien wieder aufzunehmen. Ein Jahr musste sie bleiben, das zumindest hatte der Vater testamentarisch verfügt, wenn sie ihr Erbe nicht verlieren wollte. Eine feste Beziehung kam deshalb nicht für sie infrage. Sie kannte genügend Fälle, bei denen Fernbeziehungen trotz intensiven Bemühens keinen Bestand gehabt hatten. So etwas konnte nicht klappen, und sie hatte nicht die geringste Lust, die Schmerzen und Qualen einer unvermeidlichen Trennung auf sich zu nehmen.
Und was Shanes Heiratsantrag betraf, den hatte sie nun wirklich nicht ernst nehmen können. Er war augenscheinlich nur eine spontane Reaktion auf ihre Eröffnung gewesen, dass er, Shane, Vater werden würde. Wenn er Zeit hatte, darüber nachzudenken, würde auch er sehr schnell zu dem Schluss kommen, dass sie nicht heiraten sollten. Wahrscheinlich war er dann sogar erleichtert, dass sie vernünftig genug gewesen war, seinen Antrag nicht anzunehmen.
Plötzlich hörte sie ein Rauschen und schreckte aus ihren unerfreulichen Gedanken hoch. Sie blickte sich um und bemerkte erst jetzt, dass sie bereits um die Flussbiegung herumgeritten waren und der Wasserfall vor ihnen lag. Shane hatte nicht zu viel versprochen, im Gegenteil!
Hoch über ihnen fiel der Fluss von einer Felskante gut fünfundzwanzig Meter tief und traf auf große Steinblöcke, um sich dann behäbig fließend durch das Tal zu schlängeln. Besonders begeisterten Melissa die Wassernebel, die in allen Regenbogenfarben schillerten. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Deshalb also Rainbow River …
„Shane, ich bin einfach überwältigt“, stieß sie leise hervor. „Es ist atemberaubend schön.“
„Ich war ziemlich sicher, dass es dir gefallen würde“, erwiderte er fröhlich, und sie konnte seiner Stimme entnehmen, wie stolz er auf dieses Naturwunder war und wie erleichtert, dass er sie nicht enttäuscht hatte.
Etwas weiter unten am Flussufer stiegen sie ab. Kaum berührte Melissa mit den Füßen wieder den Erdboden, hatte sie das Gefühl, gleich in sich zusammensacken zu müssen. Die Knie gaben nach, und die Muskeln fühlten sich an wie Wackelpudding. Sie versuchte, einen Schritt zu machen, und war heilfroh, als Shane seinen starken Arm um sie legte. „Alles okay?“, fragte er besorgt.
„Ja.“ Auf ihn gestützt, ging sie langsam vorwärts. „Ich sollte öfter mal reiten gehen. Vielleicht hätte ich dann eine bessere Kondition.“
Er blieb stehen und umarmte sie. „Ich finde, du hast eine sehr gute Kondition“, sagte er lachend. „Bei dem Yogaunterricht musst du dich doch in alle Richtungen verrenken und verbiegen können.“
Nun musste auch sie lachen. „Beim Yoga kommt es mehr aufs Strecken und Entspannen der Muskulatur an. Beim Reiten dagegen muss man die Beinmuskulatur ziemlich stark anspannen, um sich im Sattel zu halten.“
„Hm, nach meiner Erfahrung ist deine Beinmuskulatur sogar sehr gut ausgebildet …“, sagte er leise und mit diesem Unterton, bei dem sie immer schwach wurde. Als er dann noch zärtlich ihren Nacken liebkoste, musste sie sich an ihm festhalten, um nicht zu Boden zu sinken.
Natürlich hatte er gemerkt, was mit ihr los war. Sofort beugte er sich über sie und strich ihr mit den Lippen sanft über den Mund. Das war so gut … Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, und im Nu war alles vergessen, was sie sich vorher gepredigt hatte. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, dass sie immer in seinen Armen liegen wollte. Als er vorsichtig mit der Zunge vordrang, öffnete sie leicht den Mund und schlang ihm die Arme um die Taille. Beglückt spürte sie, wie ein heißes Lustgefühl sie durchflutete und das Verlangen, ihn in sich zu spüren, immer stärker wurde.
Doch als Shane den Saum ihres T-Shirts anhob, um ihr das Hemd über den Kopf zu ziehen, erwachte sie jäh aus diesem warmen Glücksgefühl. Denn der Wind hatte gedreht, und wie eine eiskalte Dusche traf der Nebel des Wasserfalls, dessen Farbenpracht sie gerade noch bewundert hatte, auf ihre nackte Haut. Beide fuhren auseinander, sahen einander verblüfft an und lachten laut los. Schnell zog Shane sie hinter einen schützenden Stein, aber der Bann war gebrochen.
Plötzlich erinnerte sich Melissa wieder an das, was sie sich vorgenommen hatte. Was, um Himmels willen, hatte sie sich dabei gedacht, ihre Vorsätze so schnell
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