Tiefe Sehnsucht - stärker als alle Vernunft
lächelnd zu.
„Ebenso, Ma’am“, brummelte er.
„Und, Shane, lieber keinen Kaffee für mich“, fügte sie schnell hinzu. Ihr war gerade eingefallen, dass eine ihrer Freundinnen während der Schwangerschaft generell kein Koffein zu sich genommen hatte. „Nur ein Glas Orangensaft, wenn du hast.“
„Okay.“ Er holte den Saft aus dem Kühlschrank und setzte sich neben sie.
„Und wie möchten Sie Ihre Eier, Mädchen?“ Kaktus wandte sich zu Melissa um und sah sie fragend an.
„Als Rührei“, flüsterte Shane ihr zu. „Er kann nämlich nur Rührei machen.“
„Shane McDermott, halt dein loses Maul!“ Der Alte hob drohend den Holzspatel. „Ich habe dich wohl verstanden. Aber es stimmt nicht. Ich kann sie auch mit Käse machen oder mit Zwiebeln und grüner Paprika, ganz wie deine Freundin es möchte.“
„Aber deshalb ist es immer noch Rührei“, entgegnete Shane grinsend.
„Das ist doch egal. Es schmeckt immerhin anders als normales langweiliges Rührei.“
Jetzt musste auch Melissa lachen. Da es bei ihr zu Hause nicht üblich gewesen war, dass man sich aufzog und auf liebevolle Art und Weise neckte, genoss sie den Schlagabtausch zwischen den beiden Männern. Man spürte, dass sie einander sehr zugetan waren, und Shanes Reaktion sagte auch viel über ihn selbst aus. Schon die Wetten, die, wie beide wussten, eine reine Farce waren, schloss Shane nur mit Kaktus ab, um ihm die Gelegenheit zu geben, seinen Stolz zu wahren. Und auch die Frozzeleien jetzt dienten lediglich dazu, Kaktus’ empörtes Gebrummel herauszufordern, was dem alten Mann viel Spaß machte.
So wäre ihr Vater nie mit seinen Angestellten umgegangen. Und auch die eigenen Kinder hatte er nie so liebevoll geneckt. In Jarrod Manor war überhaupt sehr selten gelacht worden. Sie konnte sich nicht erinnern, dass ihr Vater auch nur ein einziges Mal mit ihr oder den Brüdern gespielt hätte, sondern nur daran, dass er den Kindern immer kleine Predigten hielt. Sobald sie alt genug waren, ermahnte er sie täglich, ständig Höchstleistungen zu erbringen, sowohl in der Schule wie auch bei ihren Arbeiten im Jarrod Ridge . Andernfalls würden sie ihn sehr enttäuschen und hätten seine Liebe nicht verdient.
„Hier, Mädchen.“ Schwungvoll stellte Kaktus einen Teller mit Rührei und Schinken vor Melissa hin. „Lassen Sie es sich schmecken!“
„Danke.“ Hm, das roch gut … Doch bevor sie noch wusste, wie ihr geschah, wurde ihr schlecht, und zwar so plötzlich, dass sie aufsprang und zur Tür stürzte. Im Vorbeilaufen sah sie Shanes entsetztes Gesicht, aber sie hatte keine Zeit mehr für Erklärungen, hastete die Treppe hinauf und schaffte es gerade noch ins Badezimmer.
Noch nie in ihrem sechsundzwanzigjährigen Leben hatte sie sich so elend gefühlt wie jetzt. Wenn die Schwangerschaft bisher eher eine vage Idee gewesen war, so machte sie sich jetzt mit voller Wucht bemerkbar.
Dass Melissa blass wie die Wand wurde und zur Tür stürzte, hatte Shane zu Tode erschreckt. Er rannte sofort hinter ihr her und nahm zwei Stufen auf einmal. Was, um Himmels willen, war los mit ihr? Bis vor zwei Minuten war sie doch noch fröhlich und vollkommen in Ordnung gewesen.
Er wollte die Badezimmertür öffnen, aber Melissa hatte sich eingeschlossen. „Lissa, mach auf, lass mich rein.“ Er klopfte ein paar Mal kräftig an die Tür.
„Geh weg, Shane, lass mich allein …“
„Aber was ist denn los? Was hast du denn? Ich bleibe hier, bis ich weiß, was mit dir los ist!“ Wenn sie nicht aufmachte, würde er die Tür einschlagen …
„Ich glaube, es ist die typische morgendliche Übelkeit …“ Sie hörte sich furchtbar an. „Lass mich, geh weg … mir ist sterbenselend.“
Noch nie hatte Shane sich so überflüssig und nutzlos gefühlt, als er sich auf der Bettkante niederließ. Schlimmer noch, er hatte ein bodenlos schlechtes Gewissen. Denn schließlich war er ja daran schuld, dass sie sich so schlecht fühlte. Er stützte sich auf den Knien auf und starrte blicklos vor sich hin. Wenn er doch nur etwas für sie tun könnte, aber ihm fiel nichts ein. Stuten kannten keine morgendliche Übelkeit, wenn sie trächtig waren. Und da Shane nie daran gedacht hatte, zu heiraten und Kinder zu haben, hatte er sich kaum mit dem Ablauf der menschlichen Schwangerschaft beschäftigt. Offenbar hatte er in diesem Punkt noch eine Menge nachzuholen, und je eher er damit anfing, desto besser.
Im Geiste hatte er bereits eine Liste gemacht, worüber er sich genauer
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