Tiefe Sehnsucht - stärker als alle Vernunft
Einschlafen bin. Aber auch tagsüber bin ich gern am Strand und beobachte die Brandung. Dann muss ich immer daran denken, wie klein und unbedeutend meine Probleme sind angesichts der großartigen Natur.“
„In Südkalifornien ist doch fast immer Sommer. Vermisst du denn nicht den Wechsel der Jahreszeiten, Engelchen?“
„Es gibt schon auch Jahreszeiten, wenn sie auch nicht so ausgeprägt sind wie hier. Der Herbst hier ist wunderschön.“ Sie strahlte ihn an. „Und ich liebe Aspen im Winter! Es gibt nichts Schöneres, als im Neuschnee die Hänge herunterzufahren.“
„Dann magst du Pulverschnee besonders gern?“
„Allerdings. Und wie ist es mit dir? Läufst du auch gern Ski?“
Er nickte lächelnd. „Ja, ich kenne wohl schon so gut wie alle Hänge hier in der Umgebung. Aber ich mag auch den gemächlicheren Langlauf.“
„Ich auch.“ Sie gähnte und lehnte sich zurück. „Ja, die Winteraktivitäten hier in den Bergen haben mir schon gefehlt.“
„Gibt es nicht auch Skigebiete in Kalifornien?“
„Das schon. Aber ich habe eine ziemlich lange Anfahrt bis dorthin. Viel schöner ist es, wenn die Berge gleich hinter dem Haus beginnen und man quasi auf Skiern aus der Tür treten kann.“
„Und warum bist du dann zum Studium nach Kalifornien gegangen?“ Shane hatte das bestimmte Gefühl, dass diese Entscheidung etwas mit dem beherrschenden Vater und der lieblosen Kindheit zu tun gehabt hatte. Der Frage nach der Beziehung zu ihrem Vater war Melissa schon einmal ausgewichen. Und auch jetzt sah es so aus, als wolle sie dieses Thema nicht vertiefen.
Sie runzelte die Stirn, als suche sie nach den richtigen Worten. „Na ja, ich war jung und wollte einfach mal etwas anderes erleben“, erklärte sie schließlich. Dann gähnte sie wieder und lächelte Shane verlegen an. „Ich glaube, ich sollte lieber ins Bett gehen, bevor ich hier noch auf der Couch einschlafe.“
Also wollte sie ihm nicht antworten und sich auch nicht weiteren Fragen aussetzen. Nun gut, dann ein andermal. „Wahrscheinlich hast du recht.“ Er stand auf und zog sie hoch. „Wir sollten ins Bett gehen. Wie wäre es, wenn ich dir zeige, wie gut ich massieren kann?“
„Aber ich habe keine Probleme mit verspannten Schultern oder einem steifen Hals.“
„Gut zu wissen.“ Er grinste. „Doch es gibt durchaus noch andere Körperpartien, die ich gern mit meinen magischen Händen berühren würde.“
Noch lange nachdem Melissa in seinen Armen eingeschlafen war, lag Shane wach und starrte an die Decke. Selten hatte er sich so wohlgefühlt wie an diesem Abend mit Melissa an seiner Seite. Würde das Leben so ähnlich ablaufen, wenn sie verheiratet wären?
Verheiratet . Schon das Wort sollte genügen, um ihn das Weite suchen zu lassen. Heiraten . Und immer noch konnte er nicht glauben, dass er vorhatte, diesen Schritt wirklich zu tun.
Noch zwei Tage zuvor hatte er nie an die Möglichkeit gedacht, zu heiraten und ein Kind zu haben. Besser gesagt, er hatte diesen Gedanken immer weit von sich geschoben, ja, sich verboten, ein solches Leben überhaupt in Erwägung zu ziehen. Dazu erinnerte er sich zu genau, wie sein Vater gelitten hatte, als die Mutter ihn verließ. Nein, eine Ehe war für ihn nie infrage gekommen, er hatte das, was sein Vater hatte ertragen müssen, nicht durchmachen wollen.
Wie oft hatte er als kleiner Junge mit anhören müssen, wie Vater und Mutter sich stritten. Sie war unglücklich hier in der Einsamkeit gewesen und hatte den Vater immer wieder angefleht, die Ranch zu verkaufen und mit ihr in die Stadt zu ziehen. Aber er war nicht darauf eingegangen, und so hatte sie damit gedroht, ihn zu verlassen. Und eines Tages war es dann wirklich so weit gewesen.
Als der kleine Shane, er war wohl damals etwa neun Jahre alt, nach der Schule nach Hause kam, war die Mutter nicht mehr da, und der Vater lag betrunken auf der Couch, eine leere Whiskeyflasche in der Hand. Zu der Zeit kam Kaktus ins Haus und kümmerte sich um den Jungen. Und als der Vater endlich wieder nüchtern war, nachdem er zwei Monate lang durch alle Kneipen Aspens gezogen war, fragte ihn der Junge immer wieder, wo denn die Mutter sei. „Weg!“, das war alles, was er aus dem Vater herausbekam. Schließlich gab Shane auf und fragte nicht mehr.
Hank McDermott wurde nie wieder der Alte. Zwar kümmerte er sich um den Sohn und vermittelte ihm feste Wertvorstellungen. Aber davon abgesehen schien ihm nichts und niemand mehr wichtig zu sein. Dass seine Frau ihn verlassen
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