Tiefe Wunden
sich.
»Das Bewegungsprofil des Handys, das bei Watkowiak im Rucksack war«, erwiderte Ostermann verärgert und wandte sich an seinen Kollegen, für dessen Nachlässigkeiten er sonst immer eine Entschuldigung fand. Diesmal jedoch war er richtig sauer.
»Mensch, Frank«, rief er scharf. »Das ist wichtig, das weißt du doch! Ich warte seit Tagen darauf!«
»Mach doch keine Staatsaffäre daraus!«, entgegnete Behnke heftig. »Hast du etwa noch nie was vergessen?«
»Was einen Fall betrifft – nein! Was ist bloß los mit dir, Mann?«
Statt zu antworten, stand Behnke auf und verließ das Büro.
»Und?«, erkundigte sich Pia, ohne Behnkes Verhalten zu kommentieren. Wenn jetzt endlich auch Ostermann auffiel,dass mit Behnke irgendetwas nicht stimmte, würde er sich vielleicht darum kümmern und die Sache unter Männern klären.
»Das Handy wurde nur ein einziges Mal benutzt, und zwar zum Verschicken dieser SMS an Monika Krämer«, erwiderte Ostermann nach einem gründlichen Studium des Blattes. »Es waren keine Nummern gespeichert.«
»Ist eine Funkzelle angegeben?«, erkundigte Pia sich neu gierig.
»Eschborn und Umgebung.« Ostermann schnaubte. »Ein Radius von ungefähr 3 Kilometern rings um den Sendemast. Hilft uns nicht viel weiter.«
Bodenstein stand vor seinem Schreibtisch und blickte auf die dort ausgebreiteten Tageszeitungen. Hinter ihm lag die erste unerfreuliche Begegnung des Tages mit Kriminaldirektor Nierhoff, der unmissverständlich damit gedroht hatte, eine SoKo einzurichten, sollte Bodenstein nicht sehr bald greifbare Ergebnisse liefern. Der Pressesprecher wurde mit Anrufen bombardiert, nicht nur seitens der Presse: Sogar aus dem Innenministerium hatte es eine offizielle Anfrage nach den Ermittlungsfortschritten gegeben. Die Stimmung im Team war gereizt. In keinem der fünf Mordfälle war auch nur annähernd ein Durchbruch in Sicht. Dass Goldberg, Schneider, Anita Frings und Vera Kaltensee alte Freunde aus Jugendzeiten gewesen waren, half ihnen nicht weiter. Der Mörder hatte an allen drei Tatorten keine erkennbare Spur hinterlassen, ein Täterprofil war unmöglich zu erstellen. Das beste Motiv hatten mittlerweile die Geschwister Kaltensee, aber Bodenstein widerstrebte es, sich Ostermanns Vermutungen anzuschließen.
Er faltete die Zeitungen zusammen, setzte sich hin und stützte seine Stirn in die Hand. Irgendetwas war vor ihrenAugen im Gange, etwas, das sie nicht erkannten. Ihm wollte es einfach nicht gelingen, die Morde in einen sinnvollen Zusammenhang zur Familie Kaltensee und deren Umfeld zu bringen. Falls es hier überhaupt etwas in Zusammenhang zu bringen gab. War ihm seine Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, abhandengekommen? Es klopfte an der Tür, und Pia Kirchhoff trat ein.
»Was gibt’s?«, fragte er und hoffte, dass seine Kollegin ihm Selbstzweifel und Ratlosigkeit nicht anmerken würde.
»Behnke war eben bei Watkowiaks Kumpel Frenzel, dessen DNA wir in Schneiders Haus gefunden haben«, sagte sie. »Er hat Frenzels Handy mitgebracht. Watkowiak hatte ihm am Donnerstag auf die Mailbox gesprochen.«
»Und?«
»Wir wollten es uns jetzt anhören«, sagte Pia. »Übrigens: In dem Haus in der Siesmayerstraße, das Ritter neulich betreten hat, wohnt eine Frau namens Marleen Kaltensee. « Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Was ist los mit Ihnen, Chef?«
Einmal mehr hatte Bodenstein das Gefühl, sie könne ihm direkt ins Gehirn schauen.
»Wir kommen nicht weiter«, entgegnete er. »Zu viele Rätsel, zu viele Unbekannte, zu viele sinnlose Spuren.«
»So ist es doch immer.« Pia setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Wir haben vielen Leuten viele Fragen gestellt und damit Unruhe verbreitet. Die ganze Sache entwickelt jetzt eine eigene Dynamik, auf die wir momentan zwar keinen Einfluss haben, die aber für uns arbeitet. Ich habe das sichere Gefühl, dass sehr bald etwas geschehen wird, was uns auf die richtige Spur bringt.«
»Sie sind wirklich eine Optimistin. Was, wenn Ihre gerühmte Dynamik uns die nächste Leiche beschert? Nierhoff und das Innenministerium machen mir jetzt schon enormen Druck!«
»Was erwarten die denn von uns?« Pia schüttelte den Kopf. »Wir sind doch keine Fernsehkommissare! Jetzt schauen Sie doch nicht so resigniert! Lassen Sie uns nach Frankfurt fahren, zu Ritter und zu Elard Kaltensee. Wir fragen sie nach der verschwundenen Kiste.«
Sie stand wieder auf und blickte ihn ungeduldig an. Ihre Energie wirkte ansteckend. Bodenstein
Weitere Kostenlose Bücher