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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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weltmännischen Professors verbarg. Ein Rezept hatte er noch in seinem Koffer. Ein, zwei Tabletten, ein paar Gläser Wein würden alles erträglicher machen. Schließlich hatte er sich zu nichts verpflichtet. Das Beste wäre, jetzt ein paar Sachen einzupacken, direkt zum Flughafen zu fahren und nach Amerika zu fliegen. Für ein paar Tage, nein, besser noch für ein paar Wochen. Vielleicht sogar für immer.
     
    »Redakteur eines Lifestyle-Magazins«, wiederholte Pia spöttisch angesichts des hässlichen Flachbaus im Hinterhof eines Möbelabhollagers im Fechenheimer Gewerbegebiet. Bodenstein und sie stiegen die schmutzige Treppe in den obersten Stock hinauf, in dem sich das Büro von Thomas Ritter befand.Ganz sicher hatte Marleen Ritter ihren Gatten noch nie hier besucht, denn spätestens an der Eingangstür dessen, was dieser euphemistisch als »Redaktion« bezeichnet hatte, wären ihr wohl Zweifel gekommen. An der billigen Glastür, die mit fettigen Fingerabdrücken übersät war, prangte ein poppigbuntes Schild mit dem Schriftzug »Weekend« . Die Rezeption bestand aus einem Schreibtisch, je zur Hälfte eingenommen von einer Telefonanlage und einem altertümlichen Monster von Monitor.
    »Sie wünschen?« Die Empfangsdame der Weekend sah aus, als habe sie früher selbst einmal für die Titelseiten posiert. Die Schminke täuschte allerdings nicht darüber hinweg, dass dies wohl eine Weile her war. Ungefähr dreißig Jahre.
    »Kriminalpolizei«, sagte Pia. »Wo finden wir Thomas Ritter?«
    »Letztes Büro auf dem Gang links. Soll ich Sie anmelden?«
    »Nicht nötig.« Bodenstein lächelte der Dame freundlich zu. Die Wände des Ganges waren mit gerahmten Titelbildern der Weekend gepflastert, die nackten Tatsachen wurden zwar von unterschiedlichen Mädchen präsentiert, die aber eines gemeinsam hatten: mindestens Körbchengröße Doppel D. Die letzte Tür links war geschlossen. Pia klopfte an und trat ein. Es war Ritter sichtlich peinlich, dass Bodenstein und Pia ihn in dieser Umgebung antrafen. Zwischen der luxuriösen Altbauwohnung im Westend und dem engen verqualmten Büro mit Pornofotos an den Wänden lagen Welten. Allerdings lagen auch Welten zwischen der unscheinbaren Ehefrau, die sein Kind erwartete, und der Frau, die neben ihm stand und deren blutroter Lippenstift Spuren an Ritters Mund hinterlassen hatte. Alles an ihr sah stilvoll und teuer aus, angefangen von der Kleidung über Schmuck und Schuhe bis zur Frisur.
    »Ruf mich an«, sagte sie und ergriff ihre Handtasche. Siestreifte Bodenstein und Pia mit einem kurzen, uninteressierten Blick, dann rauschte sie hinaus.
    »Ihre Chefin?«, erkundigte Pia sich. Ritter stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch das Haar. Er wirkte erschöpft und um Jahre gealtert, passend zur Tristesse seiner Umgebung.
    »Nein. Was wollen Sie denn noch? Woher wissen Sie überhaupt, dass ich hier bin?« Er griff nach einem Päckchen Zigaretten und zündete sich eine an.
    »Ihre Frau war so freundlich, uns die Adresse der Redaktion zu geben.« Ritter reagierte nicht auf Pias Sarkasmus.
    »Sie haben Lippenstift im Gesicht«, fügte sie hinzu. »Falls Ihre Frau Sie so zu sehen bekommt, könnte sie falsche Schlüsse ziehen.«
    Ritter fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Er zögerte eine Weile mit einer Antwort, aber dann machte er eine resignierte Geste.
    »Das war eine Bekannte«, sagte er. »Ich schulde ihr noch Geld.«
    »Weiß Ihre Frau davon?«, fragte Pia.
    Ritter starrte sie an, beinahe trotzig. »Nein. Das muss sie auch nicht.« Er zog an der Zigarette und ließ den Rauch durch die Nase entweichen. »Ich habe jede Menge zu tun. Was wollen Sie? Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt.«
    »Ganz im Gegenteil«, erwiderte Pia. »Sie haben uns das meiste verheimlicht.«
    Bodenstein hielt sich schweigend im Hintergrund. Ritters Augen wanderten zwischen ihm und Pia hin und her. Gestern hatte er den Fehler gemacht, sie zu unterschätzen. Das würde ihm heute nicht mehr passieren.
    »Ach ja?« Er versuchte, gelassen zu wirken, aber das nervöse Flackern in seinen Augen verriet seinen wahren Gemütszustand. »Was denn zum Beispiel?«
    »Warum waren Sie am Abend des 25. April bei Herrn Goldberg, einen Tag, bevor er ermordet wurde?«, fragte Pia. »Was haben Sie mit Robert Watkowiak in der Eisdiele besprochen? Und warum hat Vera Kaltensee Sie tatsächlich entlassen?«
    Mit einer fahrigen Bewegung drückte Ritter die Kippe aus. Sein Handy, das

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