Tiefe Wunden
fiel auf, wie unverzichtbar Pia Kirchhoff innerhalb der letzten beiden Jahre für ihn geworden war. Gemeinsam waren sie ein perfektes Team: sie diejenige, die bisweilen waghalsige Vermutungen anstellte und Dinge energisch vorantrieb, er derjenige, der sich korrekt an die Regeln hielt und sie bremste, wenn sie zu emotional wurde.
»Na kommen Sie schon, Chef«, sagte sie nun. »Keine Selbstzweifel jetzt! Wir müssen unserer neuen Vorgesetzten schließlich beweisen, was wir draufhaben!«
Da musste Bodenstein lächeln.
»Stimmt«, sagte er und erhob sich.
»... ruf mich zurück, Mann!«, ertönte die Stimme von Robert Watkowiak aus dem Lautsprecher. Er klang gehetzt. »Die sind hinter mir her. Die Bullen glauben, ich hätte einen umgelegt, und die Gorillas von meiner Stiefmutter haben mir vor Monis Wohnung aufgelauert. Ich verschwind für ’ne Weile von hier. Ich ruf dich noch mal an. «
Es klickte. Ostermann spulte das Band zurück.
»Wann hat Watkowiak auf die Mailbox gesprochen?«, erkundigte sich Bodenstein, der sein Formtief überwunden hatte.
»Am vergangenen Donnerstag um vierzehn Uhr fünfunddreißig«, sagte Ostermann. »Der Anruf kam von einem öffentlichen Fernsprecher in Kelkheim. Wenig später muss er gestorben sein.«
»... die Gorillas von meiner Stiefmutter haben mir vor Monis Wohnung aufgelauert ...« , ertönte wieder die Stimme des toten Robert Watkowiak. Ostermann arbeitete an den Reglern und ließ die Ansage noch einmal ablaufen.
»Lassen Sie’s gut sein«, sagte Bodenstein. »Was gibt es von Nowak?«
»Liegt in seinem Bettchen«, erwiderte Ostermann. »Heute Morgen von acht bis kurz nach zehn waren Oma und Papa da.«
»Nowaks Vater war bei seinem Sohn im Krankenhaus?«, fragte Pia erstaunt. »Zwei Stunden lang?«
»Ja.« Ostermann nickte. »So hat es der Kollege durchgegeben.«
»Okay.« Bodenstein räusperte sich und blickte in die Run de, in der Kriminalrätin Dr. Engel heute fehlte. »Wir sprechen noch einmal mit Vera Kaltensee und mit ihrem Sohn Siegbert. Außerdem will ich Speichelproben von Marcus Nowak, Elard Kaltensee und Thomas Ritter. Letzteren besuchen wir heute auch noch einmal. Und ich will mit Katharina Ehrmann sprechen. Frank, finden Sie heraus, wo wir die Dame antreffen können.«
Behnke nickte kommentarlos.
»Hasse, Sie machen dem Labor Dampf wegen der Lackspuren des Autos, das den Betonkübel vor Nowaks Firma gerammt hat. Ostermann, ich will mehr Informationen über Thomas Ritter haben.«
»Alles heute noch?«, fragte Ostermann.
»Bis heute Nachmittag, wenn’s geht.« Bodenstein erhob sich. »Um fünf Uhr sehen wir uns hier wieder, und dann will ich Ergebnisse haben.«
Eine halbe Stunde später klingelte Pia in der Siesmayerstraße bei Marleen Kaltensee, und nachdem sie ihren Ausweis in dieKamera über der Sprechanlage gehalten hatte, summte der Türöffner. Die Frau, die ihr und Bodenstein wenig später die Wohnungstür öffnete, war ungefähr Mitte dreißig und hatte ein unscheinbares, etwas aufgeschwemmt wirkendes Gesicht mit bläulichen Augenringen. Ihr stämmiger Körperbau mit kurzen Beinen und einem breiten Hinterteil ließ sie dicker wirken, als sie eigentlich war.
»Ich hatte Sie schon viel früher erwartet«, eröffnete sie die Unterhaltung.
»Wieso?«, fragte Pia erstaunt.
»Na ja«, Marleen Kaltensee zuckte mit den Schultern, »die Morde an den Freunden meiner Großmutter und an Robert ...«
»Deswegen sind wir gar nicht da.« Pia ließ den Blick durch die geschmackvoll eingerichtete Wohnung wandern. »Wir haben gestern mit Herrn Dr. Ritter gesprochen. Den kennen Sie ja sicher, oder?«
Zu ihrer Überraschung kicherte die Frau wie ein Teenager und wurde tatsächlich rot.
»Er hat dieses Haus betreten. Eigentlich wollten wir nur von Ihnen wissen, was er von Ihnen wollte«, fuhr Pia leicht irritiert fort.
»Er wohnt hier.« Marleen Kaltensee lehnte sich gegen den Türrahmen. »Wir sind nämlich verheiratet. Ich heiße nicht mehr Kaltensee, sondern Ritter.«
Bodenstein und Pia wechselten einen verblüfften Blick. Ritter hatte gestern im Zusammenhang mit dem Cabrio zwar von seiner Frau gesprochen, aber nicht erwähnt, dass es sich dabei um die Enkelin seiner ehemaligen Chefin handelte.
»Wir sind erst ganz frisch verheiratet«, erläuterte diese nun. »Ich habe mich noch nicht richtig an meinen neuen Namen gewöhnt. Meine Familie weiß auch noch nichts von unsererHochzeit. Mein Mann will auf einen passenden Moment warten, bis sich die
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