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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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lächelte schief. »Irgendwie dachte ich wohl, als Polizistin wäre ich nicht mehr so angreifbar. Mittlerweile bin ich bei der Kripo, Mordkommission.«
    »Und sonst? Was hast du sonst dagegen getan?«, fragte Miriam. Pia verstand, was sie meinte.
    »Nichts.« Sie hob die Schultern und wunderte sich, dass es ihr jetzt, da sie einmal damit angefangen hatte, erstaunlich leichtfiel, mit Miriam über den Abschnitt ihrer Lebensgeschichte zu sprechen, der bisher ein Tabu gewesen war. »Ich hatte es nicht einmal meinem Mann erzählt. Irgendwie dachte ich, ich würde schon damit zurechtkommen.«
    »Aber es klappte nicht ...«
    »Doch. Eine Weile sogar ziemlich gut. Erst letztes Jahr holte mich die ganze Geschichte wieder ein.«
    Sie erzählte Miriam in Kurzfassung von den beiden Mord fällen im vergangenen Sommer und von den Ermittlungen, in deren Verlauf sie Christoph kennengelernt hatte und mit ihrer Vergangenheit konfrontiert worden war.
    »Christoph will mich dazu überreden, eine Selbsthilfegruppe für Vergewaltigungsopfer zu unterstützen«, schloss sie wenig später. »Aber ich weiß nicht recht, ob ich das tun soll.«
    »Doch, unbedingt!« Miriams Tonfall wurde eindringlich. »Ein solches Trauma kann ein ganzes Leben zerstören. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Bei meiner Arbeit im Fritz-Bauer-Institut und im Zentrum gegen Vertreibungen in Wiesbaden habe ich von den schrecklichen Schicksalen der Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg im Osten gehört. Was diese Frauen erlebt haben, ist unsäglich. Und die meisten von ihnen haben ihr ganzes Leben lang nicht darüber gesprochen. Das hat sie seelisch zerstört.«
    Pia betrachtete die Freundin aufmerksam. Miriam hatte sich wirklich verändert. Keine Spur mehr von dem sorglosen, oberflächlichen Mädchen aus privilegierter Familie. Zwanzig Jahre waren auch eine lange Zeit.
    »Was ist das für ein Institut, an dem du arbeitest?«, erkundigte sie sich.
    »Ein Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, angeschlossen an die Uni«, erklärte Miriam. »Dort halte ich Vorlesungen, organisiere Ausstellungen und so weiter. Schon verrückt, oder? Früher dachte ich immer, ich werde mal Diskobesitzerin oder Springreiterin. « Miriam kicherte plötzlich.
    »Kannst du dir unsere Lehrer vorstellen, was die für Augen machen würden, wenn sie wüssten, dass aus uns beiden etwas ganz Anständiges geworden ist?«
    »Wo sie uns doch immer wieder prophezeit haben, wirwürden eines Tages mindestens in der Gosse landen«, grinste Pia. Sie bestellten noch zwei Gläser Champagner.
    »Was ist mit Christoph?«, fragte Miriam. »Ist das was Ernstes?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte Pia.
    »Er ist ganz schön verliebt.« Miriam zwinkerte ihr zu und beugte sich vor. »Er lässt dich die ganze Zeit nicht aus den Augen.«
    Diese Bemerkung ließ augenblicklich wieder Schmetterlinge in Pias Bauch flattern. Der Champagner kam, sie stießen erneut an. Pia erzählte vom Birkenhof und ihren Tieren.
    »Wo wohnst du jetzt?«, erkundigte sie sich. »Hier in Frankfurt?«
    »Ja.« Miriam nickte. »Bei Oma im Haus.«
    Für jemanden, der Miriams Familienverhältnisse nicht kannte, musste sich das spießig anhören, aber Pia wusste es besser. Miriams Oma Charlotte Horowitz war die Grande Dame der allerfeinsten Frankfurter Gesellschaft; ihr »Haus« war eine großartige alte Villa auf einem riesigen Grundstück im Holzhausenviertel, das jedem Grundstücksspekulanten die Tränen der Begehrlichkeit in die Augen trieb. Plötzlich kam Pia ein Gedanke.
    »Sag mal, Miri«, wandte sie sich an ihre Freundin, »sagt dir der Name David Josua Goldberg etwas?«
    Miriam blickte sie erstaunt an.
    »Aber natürlich«, sagte sie. »Jossi Goldberg ist ein alter Bekannter von Oma. Seine Familie unterstützt seit Jahrzehnten zig Projekte der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, weshalb fragst du?«
    »Nur so«, wich Pia aus, als sie die Neugier in den Augen der Freundin sah. »Ich kann dir leider im Moment nicht mehr sagen.«
    »Polizeigeheimnis?«
    »So in etwa. Tut mir leid.«
    »Nicht so schlimm.« Miriam hob ihr Glas und lächelte. »Auf unser Wiedersehen nach so langer Zeit! Ich freue mich wirklich!«
    »Ich mich auch.« Pia grinste. »Wenn du Lust hast, kommst du mich besuchen, und wir machen mal wieder einen Ausritt, so wie früher.«
    Christoph trat zu ihnen an den Stehtisch. Die Selbstverständlichkeit, mit der er Pia den Arm um die Taille legte, ließ ihr Herz einen glücklichen Sprung

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