Tiefe Wunden
auftaucht, um uns an weiteren Ermittlungen zu hindern. Entweder Goldberg junior oder jemand anderes hat beste Beziehungen und ein Interesse daran, die sterblichen Überreste seines Vaters so schnell wie möglich verschwinden zu lassen. Goldbergs Geheimnis sollte geheim bleiben. Allerdings waren wir schneller.«
Nierhoff atmete tief durch, ging hinter seinen Schreibtisch und setzte sich.
»Angenommen, Sie haben recht«, sagte er nach einer Weile, »wie konnte Goldbergs Sohn so schnell alle diese Leute mobilisieren?«
»Er kennt eben den richtigen Mann an der richtigen Stelle. Sie wissen doch, wie so etwas geht.«
Nierhoff sah Bodenstein misstrauisch an. »Haben Sie gestern die Angehörigen informiert?«
»Nein. Das hat wahrscheinlich Goldbergs Haushälterin getan.«
»Sie werden den Obduktionsbericht haben wollen.« Nierhoff rieb sich nervös das Kinn. In seinem Innern kämpfte der Polizist gegen den Politiker. »Können Sie sich vorstellen, was daraus werden kann, Bodenstein?«
»Ja, das kann ich.« Bodenstein nickte. Nierhoff sprang wieder auf und setzte seinen Marsch fort. Eine Weile ging er stumm in seinem Büro auf und ab.
»Was soll ich jetzt machen?«, überlegte er laut. »Ich bin erledigt, wenn die Sache an die Öffentlichkeit kommt. Nicht auszudenken, was die Presse daraus macht, wenn irgendetwas durchsickert!«
Bodenstein verzog angesichts dieser selbstmitleidigen Äußerung das Gesicht. Die Aufklärung des Mordfalles interessierte seinen Chef offenbar nicht die Bohne.
»Es kommt nichts an die Öffentlichkeit«, erwiderte er. »Daniemand Interesse daran hat, die Sache an die große Glocke zu hängen, wird nichts passieren.«
»Sie sagen das so leicht ... Was ist mit dem Obduktionsbericht?«
»Den lassen Sie durch den Reißwolf.«
Nierhoff trat ans Fenster, die Hände hinter dem Rücken gefaltet, und starrte einen Moment hinaus. Dann drehte er sich ruckartig um.
»Ich habe mein Wort gegeben, dass es unsererseits keine Ermittlungen mehr im Fall Goldberg geben wird«, sagte er mit gesenkter Stimme. »Ich verlasse mich darauf, dass Sie das beherzigen.«
»Selbstverständlich«, entgegnete Bodenstein. Ihm war egal, wem der Kriminaldirektor sein Wort gegeben hatte, aber es bedurfte keiner besonderen hellseherischen Fähigkeiten, um zu wissen, was das bedeutete. Der Mordfall Goldberg würde von übergeordneten Stellen unter den Teppich gekehrt werden.
Montag, 30. April 2007
»Ich hab getanzt heut’ Nacht, die ganze Nacht heut’ Nacht! Ach wär’s doch nie vorbei! Ich möcht noch so viel mehr, auch wenn es Sünde wär! «
Es war kurz nach sieben, als Bodenstein verblüfft in der Tür des Besprechungsraumes stehen blieb und seine Kollegin beobachtete, die vor sich hin trällerte und mit einem imaginären Tanzpartner zwischen Tisch und Flip-Chart herumtanzte. Er räusperte sich. »War Ihr Zoodirektor nett zu Ihnen? Es scheint Ihnen ja richtig gutzugehen.«
»Mir geht’s blendend!« Pia Kirchhoff drehte sich in einer letzten Pirouette, ließ die Arme sinken und deutete mit einem Grinsen eine Verbeugung an. »Und er ist immer nett zu mir. Soll ich Ihnen einen Kaffee holen, Chef?«
»Ist etwas passiert?« Bodenstein hob die Augenbrauen. »Wollen Sie sich etwa einen Urlaubsantrag unterschreiben lassen?«
»Mein Gott, sind Sie misstrauisch! Nein, ich hab einfach gute Laune«, erwiderte Pia. »Ich habe am Samstagabend eine alte Freundin wiedergetroffen, die Goldberg persönlich gekannt hat, und ...«
»Goldberg ist kein Thema mehr«, unterbrach Bodenstein sie. »Warum, erkläre ich Ihnen später. Sind Sie so gut und rufen die anderen zusammen?«
Wenig später saß das ganze Team des K11 Hofheim um denBesprechungstisch und lauschte erstaunt Bodensteins knapper Mitteilung, dass der Fall Goldberg für sie abgeschlossen sei. Kriminalkommissar Andreas Hasse, der heute statt einem seiner üblichen braunen Anzüge ein dottergelbes Hemd und einen gemusterten Pullunder zur Cordhose trug, nahm diese Neuigkeit ohne sichtbare Gemütsregung auf. Ihm fehlte jeder Elan, und obwohl er erst Mitte fünfzig war, zählte er schon seit Jahren die Tage bis zu seiner Pensionierung. Auch Behnke kaute gleichgültig auf seinem Kaugummi weiter, in Gedanken offenbar ganz woanders. Da nichts Dringendes anstand, war Bodenstein damit einverstanden, dass seine Mitarbeiter die Kollegen vom K10 bei den Ermittlungen gegen eine osteuropäische Autoschieberbande, die seit Monaten ihr Unwesen im Rhein-Main-Gebiet trieb,
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