Tiefe Wunden
zurück. »Goldberg hatte die perfekte Legende aufgebaut. Hätte ihn nicht jemand erschossen, und wäre er nicht ausgerechnet beiKirchhoff auf dem Tisch gelandet, dann hätte er sein Geheimnis mit ins Grab genommen.«
Cosima kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Mein Gott, das ist ja richtig unheimlich!«
»Vor allen Dingen unheimlich schlecht für meine Karriere, wie Nierhoff mir heute ziemlich deutlich mitgeteilt hat«, erwiderte Bodenstein mit einem Anflug von Sarkasmus.
»Wie meinst du das?«
Er wiederholte, was Nierhoff heute in seinem Büro zu ihm gesagt hatte.
Cosima zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Ich wusste gar nicht, dass er aus Hofheim weggehen will.«
»Doch, darüber wird intern schon eine ganze Weile gemunkelt.« Bodenstein schaltete die Schreibtischlampe aus. »Nierhoff fürchtet wohl diplomatische Verwicklungen. Bei einem Fall wie diesem kann er keine Lorbeeren ernten, das ist ihm klar.«
»Aber er kann euch doch nicht einfach die Ermittlungen untersagen! Das ist ja Behinderung der Polizei!«
»Nein«, Bodenstein erhob sich und legte Cosima den Arm um die Schulter, »das ist ganz einfach Politik. Aber egal. Lass uns ins Bett gehen, morgen ist auch noch ein Tag. Vielleicht lässt unsere Prinzessin uns durchschlafen.«
Sonntag, 29. April 2007
Kriminaldirektor Nierhoff war beunruhigt. Äußerst beunruhigt. Am frühen Sonntagmorgen hatte er einen unerfreulichen Anruf von einem ranghohen Beamten des BKA bekommen, der ihm den strikten Befehl erteilt hatte, sämtliche Ermittlungen im Fall Goldberg mit sofortiger Wirkung einzustellen. Obschon Nierhoff nicht scharf darauf war, sich und seine Behörde durch politische Verwicklungen, die leicht aus dem Mordfall erwachsen konnten, ins Kreuzfeuer der Kritik zu bringen, gefiel es ihm überhaupt nicht, wie man ihn behandelte. Er hatte Bodenstein aufs Kommissariat bestellt und berichtete seinem Dezernatsleiter nun unter dem Siegel der Verschwiegenheit, was vorgefallen war.
»Salomon Goldberg ist heute Morgen mit der ersten Maschine aus New York gekommen«, sagte er. »Er verlangte die sofortige Herausgabe der sterblichen Überreste seines Vaters. «
»Von Ihnen?«, fragte Bodenstein erstaunt.
»Nein.« Nierhoff schüttelte ungehalten den Kopf. »Goldberg erschien mit Verstärkung durch zwei Leute von der CIA und dem amerikanischen Generalkonsul beim Polizeipräsidenten. Der hatte natürlich keine Ahnung, um was es überhaupt ging, deshalb hat er sich mit dem Innenministerium und dem BKA in Verbindung gesetzt.«
Der Innenminister persönlich hatte sich der Angelegenheitangenommen. Man hatte sich im Rechtsmedizinischen Institut getroffen: Nierhoff, ein Staatssekretär aus dem Innenministerium, der Frankfurter Polizeipräsident, Professor Thomas Kronlage, zwei Beamte des BKA, Salomon Goldberg in Begleitung des einflussreichen Vorsitzenden der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, des amerikanischen Generalkonsuls und der Geheimdienstleute. Es hatte diplomatischer Ausnahmezustand geherrscht, die Forderung der Amerikaner war unmissverständlich. Sie wollten Goldbergs Leiche, und zwar sofort. Natürlich hatte juristisch gesehen niemand von der Abordnung der deutsch-amerikanischen Obrigkeit das Recht, sich in laufende Ermittlungen in einem Mordfall einzumischen, aber der Innenminister hatte kein Interesse an einem Skandal, schon gar nicht ein halbes Jahr vor der Wahl. Kaum zwei Stunden nach dem Eintreffen von Salomon Goldberg war der Fall Sache des BKA.
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, schloss Nierhoff konsterniert. Er war durch sein Büro gewandert und blieb nun vor Bodenstein stehen. »Was ist da los?«
Bodenstein hatte nur eine Erklärung für diese ungewöhnliche Aktion an einem Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe: »Bei der Obduktion gestern wurde an der Innenseite von Goldbergs linkem Oberarm eine Tätowierung festgestellt, die darauf schließen lässt, dass er früher bei der SS war.«
Nierhoff erstarrte, beinahe wäre ihm der Mund auf geklappt.
»Aber ... aber ... das ist doch Unsinn«, widersprach er. »Goldberg war Überlebender des Holocaust, er war in Auschwitz und hat dort seine ganze Familie verloren.«
»Das sagt zumindest seine Legende.« Bodenstein lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Aber ich vertraue Dr. Kirchhoffs Urteil voll und ganz. Und es wäre eine Erklärung dafür, dass Goldbergs Sohn keine vierundzwanzigStunden, nachdem wir die Leiche seines Vaters gefunden haben, mit einer ganzen Streitmacht
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