Tiefe Wunden
ersten Kapiteln noch nicht zufrieden«, gab er zu. »Es kommt mir beinahe so vor, als sei Vera 1945 aus dem Nichts in Frankfurt aufgetaucht. Es gibt keine Fotos von früher, keine Familienunterlagen – einfach nichts! Bis jetztliest sich das ganze Manuskript wie eine x-beliebige Promi Biographie.«
»Du hast mir doch gesagt, du hättest noch eine ganz heiße Quelle!« Katharina Ehrmann runzelte verärgert die Stirn. »Wieso habe ich das Gefühl, dass du mich hinhalten willst?«
»Das will ich nicht«, antwortete Ritter düster. »Wirklich nicht! Aber Elard weicht mir jedes Mal aus und lässt sich verleugnen.«
Der strahlend blaue Himmel wölbte sich über der Königsteiner Altstadt, aber Ritter hatte keinen Blick für die spektakuläre Aussicht von Katharinas Dachterrasse auf die Burgruine auf der einen und die Villa Andreae auf der anderen Seite.
»Deine Quelle ist Elard?« Katharina schüttelte den Kopf. »Das hättest du mir auch eher sagen können.«
»Was hätte das genützt? Meinst du, dir würde er eher et was sagen als mir?«
Katharina Ehrmann musterte ihn.
»Wie auch immer«, sagte sie schließlich. »Mach halt etwas aus dem, was ich dir erzählt habe. Das ist doch wohl Sprengstoff genug!«
Ritter nickte und biss sich auf die Unterlippe.
»Ich habe allerdings noch ein kleines Problem«, sagte er verlegen.
»Wie viel brauchst du?«, fragte Katharina Ehrmann mit unbewegtem Gesicht.
Ritter zögerte einen Moment, dann stieß er einen Seufzer aus.
»Fünftausend würden schon mal die größten Löcher stopfen.«
»Du kriegst das Geld, aber nur unter einer Bedingung.«
»Unter welcher?«
Katharina Ehrmann lächelte sardonisch.
»Du schreibst das Buch in den nächsten drei Wochen fertig. Es muss spätestens Anfang September erscheinen, wenn meine Busenfreundin Jutta als Spitzenkandidatin aufgestellt werden will.«
Drei Wochen! Thomas Ritter trat an die Brüstung der Terrasse. Wie hatte er nur in diese beschissene Lage geraten können? Sein Leben war in bester Ordnung gewesen, bis ihm in einem Anfall von Größenwahn sein gesunder Menschenverstand abhandengekommen war. Als er Katharina von seiner Idee, eine Enthüllungsbiographie über Vera zu schreiben, erzählt hatte, hatte er nicht geahnt, welche Begeisterung dieses Vorhaben bei der ehemals besten Freundin von Jutta Kaltensee auslösen würde.
Katharina hatte Jutta nie verziehen, wie eiskalt sie damals von ihr abserviert worden war; sie lechzte nach Rache, obwohl sie das überhaupt nicht nötig hatte. Ihre kurze Ehe mit dem Schweizer Verleger Beat Ehrmann hatte sich für sie in finanzieller Hinsicht mehr als gelohnt, der alte Ehrmann war in grandioser Überschätzung seiner körperlichen Fähigkeiten knapp zwei Jahre nach der Hochzeit mit seiner besten Redakteurin zwischen deren Schenkeln einem Herzinfarkt erlegen, und Katharina hatte alles geerbt: sein Vermögen, seine Immobilien, den Verlag. Aber der Stachel der Kränkung über Juttas eifersüchtige Intrige hatte offenbar tief gesessen. Katharina hatte Thomas Ritter den Mund wässrig gemacht mit der Aussicht auf die Millionen, die eine Skandalbiographie über eine der berühmtesten deutschen Frauen der Zeitgeschichte einbringen würde. Und dadurch hatte er dann alles verloren, was ihm etwas bedeutet hatte: seinen Job, sein Ansehen, seine Zukunft. Vera hatte nämlich von seinem Vorhaben erfahren und ihn rausgeschmissen. Seitdem war er ein gesellschaftlicher Paria, lebte mehr oder wenigervon Katharinas Zuwendungen, machte einen Job, den er aus tiefstem Herzen verachtete, und konnte aus eigener Kraft dieser Situation nicht entkommen. Die Idee einer heimlichen Heirat mit Marleen, die ihm in seiner blinden Rachsucht so brillant erschienen war, erwies sich mittlerweile als weitere Falle, in die er getappt war. Manchmal wusste er überhaupt nicht mehr, wem er was sagen durfte. Katharina trat neben ihn.
»Ich muss mir jeden Tag neue Ausreden ausdenken, warum du nicht endlich das verdammte Manuskript ablieferst«, sagte sie mit einer Schärfe, die er an ihr nicht kannte. »Sie wollen jetzt endlich Ergebnisse sehen, dafür, dass wir dir seit Monaten Geld in den Hintern schieben.«
»In drei Wochen kriegst du das komplette Manuskript«, versprach Thomas eilig. »Ich muss den Anfang noch etwas umschreiben, weil ich nicht herausgefunden habe, was ich erhofft hatte. Aber die Sache mit Eugen Kaltensee ist brisant genug.«
»Das hoffe ich für dich.« Katharina Ehrmann legte den Kopf schräg. »Und für
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