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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Bodenstein hob den Gehstock auf und wollte ihn ihr reichen, aber sie achtete nicht darauf. »Wir vermuten, dass es derselbe Täter war, der David Goldberg getötet hat.«
    »O nein.« Vera Kaltensee stieß einen erstickten Schluchzer aus und presste eine Hand auf den Mund. In ihren Augen sammelten sich Tränen und rannen über die runzligen Wangen. Pia warf ihrem Chef einen vorwurfsvollen Blick zu, den dieser mit einem kurzen Hochziehen der Augenbrauen beantwortete. Sie ging vor Vera Kaltensee in die Knie und legte mitfühlend ihre Hand auf die der alten Dame.
    »Es tut mir leid«, sagte sie leise. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
    Vera Kaltensee kämpfte um Beherrschung und lächelte unter Tränen.
    »Danke, meine Liebe«, flüsterte sie. »Das wäre sehr freundlich von Ihnen. Da hinten auf der Anrichte müsste eine Karaffe stehen.«
    Pia erhob sich und ging zu einem Sideboard, auf dem verschiedene Spirituosen und umgestülpte Gläser standen. Vera Kaltensee lächelte dankbar, als Pia ihr ein Glas Wasser reichte, und nahm einen Schluck.
    »Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen, oder wäre es Ihnen lieber, wenn wir das auf einen späteren Zeitpunkt verschieben?«, fragte Pia.
    »Nein, nein. Es ist schon ... es geht schon wieder.« Vera Kaltensee zauberte ein blütenweißes Taschentuch aus der Tasche ihrer Kaschmirstrickjacke, tupfte sich die Augen ab und schnäuzte sich. »Es ist nur ein Schock, so etwas zu erfahren. Herrmann ist ... ich meine, er war ... so viele Jahre ein guter, enger Freund unserer Familie. Und dann muss er auf eine so grausame Weise sterben!«
    Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
    »Wir haben im Haus von Herrn Schneider eine Einladung zu Ihrer Geburtstagsfeier gefunden«, sagte Pia. »Außerdem gab es regelmäßige Zahlungen der KMF auf sein Konto bei einer Schweizer Bank.«
    Vera Kaltensee nickte. Sie hatte sich wieder gefangen und sprach mit leiser, aber fester Stimme.
    »Herrmann war ein alter Freund meines verstorbenen Mannes«, erklärte sie. »Nach seiner Pensionierung war er Berater unserer Schweizer Tochtergesellschaft KMF Suisse. Herrmann war früher Finanzbeamter, seine Erfahrungen und Ratschläge waren sehr wertvoll.«
    »Was wissen Sie über Herrn Schneider und seine Vergangenheit?« fragte Bodenstein, der noch immer den Gehstock in der Hand hielt.
    »Beruflich oder privat?«
    »Am besten beides. Wir sind auf der Suche nach jemandem, der einen Grund hatte, Herrn Schneider zu töten.«
    »Da kann ich mir beim besten Willen niemanden vorstellen.«Vera Kaltensee schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Er war ein so lieber Mensch. Nach dem Tod seiner Frau lebte er ganz allein in seinem Haus, obwohl er nicht gesund war. Aber in ein Seniorenheim wollte er nicht.«
    Pia konnte sich denken, weshalb. Dort hätte er kaum die Wochenschau gucken oder ein handsigniertes Foto von Adolf Hitler an die Wand hängen können. Aber sie sagte nichts.
    »Wie lange haben Sie Herrn Schneider gekannt?«
    »Sehr lange. Er war ein sehr guter Freund von Eugen, meinem verstorbenen Mann.«
    »Kannte er auch Herrn Goldberg?«
    »Ja, natürlich.« Vera Kaltensee schien ein wenig irritiert. »Wieso fragen Sie das?«
    »Wir haben an beiden Tatorten eine Zahl gefunden«, sagte Bodenstein. »16145. Sie wurde in das Blut der Opfer gezeichnet und könnte auf einen Zusammenhang zwischen den beiden Taten hinweisen.«
    Vera Kaltensee antwortete nicht sofort. Ihre Hände um klammerten die Lehnen des Sessels. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, der Pia verwunderte.
    »16145?«, fragte die alte Dame nachdenklich. »Was soll das bedeuten?«
    Bevor Bodenstein etwas erwidern konnte, betrat ein Mann den Salon. Er war groß und schlank, fast hager. Mit Anzug, Seidenschal, Dreitagebart und schulterlangem graumelierten Haar wirkte er wie ein alternder Theaterschauspieler. Erstaunt blickte er von Bodenstein zu Pia und schließlich zu Vera. Pia war sicher, ihn von irgendwoher zu kennen.
    »Ich wusste nicht, dass du Besuch hast, Mutter«, sagte er und wollte wieder gehen. »Entschuldige bitte die Störung.«
    »Bleib hier!« Vera Kaltensees Stimme klang scharf, abersie lächelte, als sie sich an Bodenstein und Pia wandte. »Das ist Elard, mein ältester Sohn. Er wohnt hier bei mir im Haus.«
    Dann blickte sie ihren Sohn an.
    »Elard, das ist Hauptkommissar von Bodenstein von der Kripo Hofheim, der Schwiegersohn von Gabriela. Und das ist seine Kollegin ... bitte verzeihen Sie

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