Tiefe Wunden
als sei er völlig ahnungslos. Erschrocken zuckte er zusammen, als sein Handy unerwartet und überlaut klingelte. Zu seiner Überraschung war es Katharina Ehrmann, Juttas beste Freundin.
»Hallo, Elard«, Katharina klang gut gelaunt. »Wie geht’s?«
»Katharina!« Elard gab sich gelassener, als er sich fühlte. »Du hast ja lange nichts mehr von dir hören lassen! Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?«
Er hatte Katharina immer gut leiden können, gelegentlich trafen sie sich auf kulturellen Veranstaltungen in Frankfurt oder bei anderen gesellschaftlichen Anlässen.
»Ich muss ein wenig mit der Tür ins Haus fallen«, sagte sie. »Ich brauche deine Hilfe. Können wir uns irgendwo treffen?«
Der dringliche Unterton in ihrer Stimme verstärkte das ungute Gefühl in seinem Inneren.
»Das ist im Moment ungünstig«, erwiderte Elard ausweichend. »Bei uns herrscht gerade Krisenstimmung.«
»Der alte Goldberg ist erschossen worden, das habe ich gehört.«
»Ach ja?« Elard fragte sich, wie sie davon gehört haben konnte. Aus den Zeitungen war der Mord an Onkel Jossi erfolgreich herausgehalten worden. Aber vielleicht hatte Jutta ihr davon erzählt.
»Vielleicht weißt du, dass Thomas ein Buch über deine Mutter schreibt«, fuhr Katharina fort. Elard erwiderte nichts darauf, aber das ungute Gefühl wurde stärker. Natürlich wusste er von dieser Schnapsidee mit dem Buch, die schon für reichlich Zündstoff innerhalb der Familie gesorgt hatte. Am liebsten hätte er das Gespräch einfach weggedrückt, aber das würde nichts nützen. Katharina Ehrmann war bekannt für ihre Beharrlichkeit. Sie würde ihn nicht in Frieden lassen, bevor sie nicht das hatte, was sie haben wollte.
»Du hast sicher gehört, was Siegbert dagegen unternommen hat.«
»Ja, das habe ich. Wieso interessiert dich das?«
»Weil das Buch in meinem Verlag erscheinen soll.«
Diese Neuigkeit verschlug Elard für einen Moment die Sprache.
»Weiß Jutta das?«, fragte er schließlich.
Katharina lachte auf.
»Keine Ahnung. Darauf kann ich auch keine Rücksicht nehmen. Mir geht es ums Geschäft. Eine Biographie über deine Mutter ist Millionen wert. Wir wollen das Buch auf jeden Fall zur Buchmesse im Oktober herausbringen, aber uns fehlt noch wichtiges Hintergrundwissen, von dem ich annehme, dass du es uns besorgen kannst.«
Elard erstarrte. Sein Mund war plötzlich staubtrocken, seine Hände schweißnass.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, entgegnete er mit belegter Stimme. Wie konnte Katharina davon wissen? Von Ritter? Und wenn er es ihr erzählt hatte, wem noch? Ach, hätte er geahnt, was das alles nach sich ziehen würde, dann hätte er die Finger davon gelassen!
»Natürlich weißt du, was ich meine!« Katharinas Stimme wurde einige Grade kühler. »Na komm schon, Elard! Niemand wird erfahren, dass du uns geholfen hast. Denk wenigstens darüber nach. Du kannst mich jederzeit anrufen.«
»Ich muss Schluss machen.« Er drückte das Gespräch weg, ohne sich zu verabschieden. Sein Herz raste, ihm war speiübel. Krampfhaft versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Ritter musste Katharina alles erzählt haben, obwohl er hoch und heilig geschworen hatte, den Mund zu halten! Auf dem Flur vor der Zimmertür hörte er Schritte näher kommen, das energische Klappern von hohen Absätzen, wie nur Jutta sie trug. Es war zu spät, um unauffällig aus dem Haus zu verschwinden. Jahre zu spät.
Pia und Miriam trafen sich in einem Bistro in der Schillerstraße, das seit seiner Eröffnung vor knapp zwei Monaten als neuer Geheimtipp in der Frankfurter Gastronomieszene gehandelt wurde. Sie bestellten die Spezialität des Hauses: fettfrei gegrillte Burger mit Fleisch von glücklichen Kühenaus der Rhön. Miriam konnte ihre Neugier kaum verbergen, deshalb kam Pia sofort auf ihr Anliegen zu sprechen.
»Hör zu, Miri. Alles, worüber wir jetzt sprechen, ist absolut vertraulich. Du darfst wirklich mit keiner Menschenseele darüber sprechen, sonst kriege ich den Ärger des Jahrhunderts.«
»Ich sag kein Sterbenswörtchen.« Miriam hob eine Hand wie zum Schwur. »Versprochen.«
»Gut.« Pia lehnte sich vor und senkte die Stimme. »Wie gut hast du Goldberg gekannt?«
»Ich bin ihm ein paarmal begegnet. Seit ich denken kann, war er immer wieder bei uns zu Besuch, wenn er in Frankfurt war«, erwiderte Miriam nach kurzem Überlegen. »Oma war mit Sarah, seiner Frau, sehr eng befreundet und dadurch natürlich auch mit ihm. Habt ihr schon eine Ahnung, wer ihn
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