Tiefe Wunden
oder Telefonnummer, alles Quatsch! Aber was mochte am 16. Januar 1945 geschehen sein? Und wo? Und wie hing das mit Schneider und Goldberg zusammen? Aber vor allen Dingen: Wer konnte davon wissen?
»Wie kann man mehr darüber erfahren?«, fragte Pia. »Goldberg stammte aus Ostpreußen, genau wie Vera Kaltensee, Schneider kam aus dem Ruhrgebiet. Vielleicht gibt es noch Archive, in denen Hinweise zu finden sind.«
Miriam nickte. »Die gibt es allerdings. Das wichtigste Archiv für Ostpreußen ist das Geheime Staatsarchiv PK in Berlin, und auch in Online-Datenbanken findet man viele alte deutsche Unterlagen. Außerdem gibt es das Standesamt Nr. 1 in Berlin, da liegen alle Standesamtsunterlagen, die aus Ostpreußen gerettet werden konnten, vor allem die der jüdischen Bevölkerung, denn 1939 wurde eine ziemlich detaillierte Volkszählung durchgeführt.«
»Mensch, das wäre wirklich eine Chance!«, begeisterte sich Pia für die Idee. »Wie kann man da Einsicht bekommen?«
»Für die Polizei dürfte das gar kein Problem sein«, vermutete Miriam. Da fiel Pia ein, dass es sehr wohl ein Problem gab.
»Wir dürfen im Mordfall Goldberg offiziell nicht ermitteln«, sagte sie enttäuscht. »Und ich kann meinen Chef zurzeit kaum bitten, mir Urlaub zu geben, damit ich nach Berlin fahren kann.«
»Ich könnte das machen«, schlug Miriam vor. »Ich hab gerade nicht viel zu tun. Das Projekt, an dem ich in den letzten Monaten gearbeitet habe, ist abgeschlossen.«
»Würdest du das echt tun? Das wäre spitze!«
Miriam grinste, wurde dann aber ernst.
»Ich werde versuchen zu beweisen, dass Goldberg auf keinen Fall ein Nazi war«, sagte sie und ergriff Pias Hände.
»Von mir aus auch das.« Pia lächelte. »Hauptsache, wir erfahren etwas über diese Zahl.«
Mittwoch, 2. Mai 2007
Frank Behnke war schlecht gelaunt. Die Euphorie des Vortages über einen hervorragenden elften Platz in der Jedermann-Wertung beim Radrennen »Rund um den Henninger-Turm« war längst verflogen. Der graue Alltag hatte ihn wieder, und das ausgerechnet mit einer neuen Mordermittlung. Eigentlich hatte er gehofft, dass die ereignislose Zeit noch eine Weile andauern würde und er weiterhin pünktlich Feierabend machen könnte. Seine Kollegen hatten sich mit Feuereifer in die Arbeit gestürzt, als ob sie froh wären, endlich wieder Überstunden schieben und die Wochenenden durcharbeiten zu dürfen. Fachinger und Ostermann hatten keine Familie, der Chef eine Frau, die sich um alles kümmerte. Hasses Frau war froh, wenn ihr Mann aus dem Haus war, und die Kirchhoff schien über die erste Phase glühender Verliebtheit mit ihrem neuen Kerl hinweg und wieder scharf darauf zu sein, sich zu profilieren. Keiner von ihnen hatte auch nur einen blassen Schimmer davon, welche Probleme er am Hals hatte! Verließ er abends pünktlich das Büro, musste er sich schiefe Blicke gefallen lassen.
Behnke setzte sich hinter das Steuer des schäbigen Dienstwagens und wartete mit laufendem Motor, bis die Kirchhoff endlich auftauchte und einstieg. Er hätte die Sache alleine erledigen können, aber der Chef hatte darauf bestanden, dass sie mitfuhr. Robert Watkowiaks Fingerabdrücke waren aufeinem Glas im Keller des ermordeten Herrmann Schneider gefunden worden, und sein Handy hatte neben der Haustür von Goldberg gelegen. Das konnte kein Zufall sein, deshalb wollte Bodenstein mit dem Kerl reden. Ostermann hatte sich ein bisschen umgehört und herausgefunden, dass Watkowiak seit ein paar Monaten in einem Wohnblock in Niederhöchstadt bei einer Frau hauste.
Behnke versteckte sich hinter seiner Sonnenbrille und sagte keinen Ton, während sie über Bad Soden und Schwalbach nach Niederhöchstadt zum Rotdornweg fuhren. Auch Pia machte keinen Versuch, eine Unterhaltung anzufangen. Die hässlichen Wohnblöcke wirkten wie Fremdkörper inmitten der Siedlung aus Einfamilien- und Reihenhäusern in gepflegten Gärten. Um diese Uhrzeit waren die meisten Parkplätze frei, die Bewohner der Häuser bei der Arbeit. Oder auf dem Sozialamt, dachte Behnke säuerlich. Der Großteil dieser Leute lebte garantiert von Vater Staat, besonders die mit Migrationshintergrund, die einen überproportional großen Anteil der Mieter ausmachten, wie sich an den Namen auf den Klingelschildchen unschwer ablesen ließ.
»M. Krämer«, Pia deutete auf eines der Schilder, »da soll er angeblich wohnen.«
Robert Watkowiak döste vor sich hin. Der Abend gestern war ziemlich gut verlaufen. Moni hatte ihm nichts
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