Tiefe Wunden
Polizeibeamter musste Provokationen ertragen und sich beherrschen können. Auf dem Parkplatz vor dem Kommissariat stieg Behnke ohne ein Wort des Dankes aus.
»Ich fahr nach Hause«, sagte er nur, klaubte seine Dienstwaffe samt Schulterhalfter und seine Lederjacke vom Rücksitz, zog die Bescheinigung des Krankenhauses aus der Gesäßtasche seiner Jeans und hielt sie Pia hin. »Kannst du das Bodenstein geben?«
»Ich würde an deiner Stelle dem Chef kurz Bescheid sagen.« Pia nahm das Papier. »Und es wäre vielleicht besser, wenn du selbst den Bericht schreibst.«
»Kannst du doch auch machen«, brummte er. »Warst ja dabei.«
Er wandte sich ab und ging zu seinem Auto, das auf dem öffentlichen Parkplatz geparkt war. Pia blickte ihm verärgert nach. Eigentlich sollte es ihr egal sein, was Behnke tat. Sie hatte sein mürrisches Benehmen und die Selbstverständlichkeit, mit der er seinen Kollegen in der letzten Zeit Arbeit aufhalste, ziemlich satt. Trotzdem hatte sie keine Lust auf schlechte Stimmung im Team. Bodenstein war ein großzügiger Chef, der seine Autorität selten ausspielte, aber ganz sicher hätte er gerne von Behnke selbst gehört, wie es zu seinen Verletzungen gekommen war.
»Frank!«, rief Pia und stieg aus dem Auto aus. »Warte!« Er drehte sich widerwillig um und blieb stehen.
»Was ist los mit dir?«, fragte Pia den Kollegen.
»Du warst doch dabei«, erwiderte er.
»Nein, das meine ich nicht.« Pia schüttelte den Kopf. » Irgendetwas ist doch los mit dir. Du bist nur noch mies drauf in letzter Zeit. Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Mit mir ist nichts los«, sagte er schroff. »Alles in Ordnung. «
»Das glaub ich dir nicht. Ist etwas mit deiner Familie?«
In seinem Innern schien ein Rollladen herunterzurasseln. Bis hierher und nicht weiter, sagte seine Miene.
»Mein Privatleben geht keinen was an«, gab er zurück.
Pia fand, dass sie ihrer Pflicht als gute Kollegin Genüge getan hatte, und zuckte die Schultern. Behnke war und blieb eben ein sturer Hund.
»Wenn du mal reden willst – du weißt ja, wie du mich er reichst!«, rief sie ihm nach. Da riss er sich die Sonnenbrille von der Nase und kam auf sie zu. Für einen Moment glaubte Pia schon, er werde auf sie losgehen, so wie vorhin auf Monika Krämer.
»Wieso müsst ihr Weiber euch eigentlich immer wie Mutter Teresa aufspielen und euch überall einmischen? Geht’s euch dann besser, oder was?«, fuhr er sie zornig an.
»Sag mal, spinnst du?« Pia war sauer. »Ich will dir helfen, weil du mein Kollege bist und weil ich merke, dass irgendetwas nicht stimmt. Aber wenn du keine Hilfe brauchst, dann mach doch, was du willst!«
Sie knallte die Tür des Autos zu und ließ ihren Kollegen stehen. Frank Behnke und sie würden nie Freunde werden.
Thomas Ritter lag mit geschlossenen Augen im heißen Badewasser und spürte, wie sich seine schmerzenden Muskeln langsam entspannten. Er war diese Art der Anstrengung nicht mehr gewöhnt, und ehrlicherweise musste er sich eingestehen, dass er sie auch nicht mehr besonders mochte. Katharinas aggressive Sexualität, die ihn früher fast um den Verstand gebracht hatte, stieß ihn mittlerweile ab. Besonders überrascht hatte ihn sein schlechtes Gewissen, als er am Abend zu Marleen nach Hause gekommen war. Er hatte sich angesichts ihrer freundlichen Arglosigkeit für sein nachmittägliches Treiben zutiefst geschämt, gleichzeitig war er wütend geworden. Sie war eine Kaltensee und damit der Feind. Erhatte sich einzig aus dem Grund an sie herangemacht, Vera zu kränken und zu demütigen, seine Verliebtheit war nur gespielt und Teil des Plans. Wenn er erst sein Ziel erreicht hatte, würde er Marleen mitsamt dem Balg in den Hintern treten. So hatte er sich das in den vielen schlaflosen Nächten auf der klapprigen Schlafcouch in der schäbigen Wohnung ausgemalt. Aber plötzlich waren Gefühle mit im Spiel, Gefühle, die er nicht einkalkuliert hatte.
Nachdem seine Frau damals die Scheidung eingereicht hatte, als der soziale Abstieg offensichtlich wurde, hatte er sich geschworen, keiner Frau mehr zu vertrauen. Katharina Ehrmann und er, das war Geschäft. Sie war die Verlegerin, die ihn für die Lebensgeschichte der Vera Kaltensee bezahlte – und das nicht schlecht –, er war ihr bevorzugter Liebhaber, wenn sie in Frankfurt war. Was sie tat, wenn er außer Reichweite war, war ihm ziemlich egal. Ritter stieß einen Seufzer aus. Er hatte sich in eine wirklich beschissene Lage manövriert. Sollte
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