Tiefe Wunden
Schmerz an ihrem Hals. Sie griff im Reflex an ihre Kehle und blickte ungläubig auf das Blut an ihren Händen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass es ihr eigenes war. Ihr Mund füllte sich mit einer warmen, kupfrig schmeckenden Flüssigkeit, und sie spürte das Prickeln echter Panik in ihrem Nacken. Was sollte das? Was hatte sie dem Mann getan? Sie wich vor ihm zurück, stolperte über einen der Hunde und verlor das Gleichgewicht. Überall war Blut. Ihr Blut.
»Bitte, bitte nicht«, krächzte sie und hob schützend die Arme vor ihren Körper, als sie das Messer in seiner Hand sah. Die Hunde kläfften wie wild. Sie schlug und trat um sich, wehrte sich verzweifelt und mit einer Kraft, die ihr die Todesangst verlieh.
*
Für niemandem beim K11 war es eine echte Überraschung, dass Dr. Kirchhoff bei der Obduktion der Leiche von Schneider dieselbe Blutgruppentätowierung gefunden hatte wie zuvor bei Goldberg. Überraschender war da schon, dass Schneider am Tage seines Todes einen Barscheck über zehntausend Euro ausgestellt haben sollte, den heute gegen halb zwölf jemand bei der Filiale der Taunus-Sparkasse in Schwalbach einlösen wollte. Die Mitarbeiter der Bank hatten die Auszahlung der ungewöhnlich hohen Summe verweigert und die Polizei eingeschaltet. Auf den Bändern der Überwachungskamera im Schalterraum war der Mann zu erkennen, der seit seiner Flucht am Morgen mit Haftbefehl gesucht wurde. Robert Watkowiak war, als er gemerkt hatte, dass es Probleme gab, ohne den Scheck aus der Bank geflüchtet, um wenig später bei der Nassauischen Sparkasse in Schwalbach aufzutauchen und dort ebenso erfolglos sein Glück mit einem Barscheck über fünftausend Euro zu versuchen. Bodenstein hatte beide Schecks vor sich auf dem Schreibtisch liegen. Ein graphologisches Gutachten würde klären, ob die Unterschrift Schneiders echt war. Die Verdachtsmomente gegen Watkowiak waren auf jeden Fall erdrückend, seine Fingerabdrücke fanden sich an beiden Tatorten.
Es klopfte an der Tür, und Pia Kirchhof trat ein.
»Ein Nachbar von Schneider hat sich gemeldet«, verkündete sie. »Er will Montagnacht gegen halb eins ein verdächtiges Fahrzeug in der Einfahrt von Schneiders Grundstück gesehen haben, als er noch spät mit dem Hund draußen war. Einen hellen Kombi mit einer Werbeaufschrift. Als er eine Viertelstunde später zurückkam, war das Auto weg, und im Haus war kein Licht mehr.«
»Hat er sich das Nummernschild gemerkt?«
»Eine MTK-Nummer. Es war dunkel, das Auto stand ungefähr zwanzig Meter entfernt. Zuerst dachte er, es sei vielleichtdas Fahrzeug, mit dem der Zivildienstleistende immer kommt. Aber dann ist ihm ein Firmenlogo aufgefallen.«
»Watkowiak war ja nicht alleine bei Schneider, das beweisen die Gläser mit verschiedenen Fingerabdrücken und die Aussage der Nachbarin. Der andere Typ fährt vielleicht einen Firmenwagen und ist später noch mal zurückgekommen.«
»Leider hat die Datenbank zu den Fingerabdrücken keinen Namen ausgespuckt außer dem von Watkowiak. Und die DNA-Abgleiche dauern noch.«
»Dann müssen wir Watkowiak finden. Behnke soll noch mal zu der Wohnung fahren und die Frau fragen, in welche Kneipen ihr Untermieter zu gehen pflegt.«
Bodenstein bemerkte ein kurzes Zögern an seiner Kollegin und sah sie fragend an.
»Äh, Frank ist nach Hause gefahren«, sagte Pia. »Er ist krankgeschrieben.«
»Wieso denn das?« Bodenstein schien erstaunt über das Verhalten des Mannes, mit dem er seit über zehn Jahren zusammenarbeitete. Behnke war damals als Einziger aus seinem Frankfurter Team mit nach Hofheim gekommen, als Bodenstein die Leitung des neu gegründeten K11 bei der Regionalen Kriminalinspektion übernommen hatte.
»Ich dachte, er hätte mit Ihnen telefoniert«, sagte Pia vorsichtig. »Frau Krämer wollte Behnke daran hindern, Watkowiak zu verfolgen. Dabei ist er in eine Flasche gestürzt und hat sich am Arm und am Kopf verletzt.«
»Aha«, sagte Bodenstein nur. »Dann sollen die Kollegen aus Eschborn alle Kneipen in der Gegend abklappern und mit den Wirten sprechen.«
Pia wartete darauf, dass er noch weitere Fragen stellen würde, aber Bodenstein ging nicht weiter auf Behnkes Verhalten ein. Stattdessen stand er auf und griff nach seinem Jackett.
»Wir fahren noch mal auf den Mühlenhof und sprechen mitVera Kaltensee. Ich möchte wissen, was sie uns über Watkowiak sagen kann. Vielleicht weiß sie ja, wo er sein könnte.«
Das große Tor des Anwesens stand zwar
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