Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
Vom Netzwerk:
entschuldigen, aber der Kriminaldirektor sprang auf und kam auf ihn zu. Er schien noch immer unter der berauschenden Wirkung einer in seinen Augen hoch erfolgreichen Pressekonferenz zu stehen.
    »Kommen Sie herein, Bodenstein!«, rief er leutselig. »Kommen Sie nur! Es mag für Sie ein wenig unerwartet kommen, aber ich möchte Ihnen meine Nachfolgerin im Amt vorstellen!«
    In dem Moment drehte sich die Frau um, und Bodenstein erstarrte. Der schwarze Tag raste mit der Geschwindigkeit eines ICE auf den absolut schwärzesten Tiefpunkt zu.
    »Hallo, Oliver.«
    Ihre raue Stimme war unverwechselbar, genauso wie das Unbehagen, das der kühle, berechnende Blick aus den hellen Augen in ihm auslöste.
    »Hallo, Nicola.« Er hoffte, dass sie nicht bemerkt hatte, wie ihm für den Bruchteil einer Sekunde die Gesichtszüge entgleist waren.
    »Wie?« Nierhoff schien enttäuscht. »Sie kennen sich?«
    »Allerdings.« Nicola Engel erhob sich und hielt Bodenstein ihre Hand hin, die dieser kurz schüttelte. Vor seinem inneren Auge lief ein Film mit düsteren Erinnerungen ab, und ein Blick in Nicolas Augen machte ihm klar, dass auch sie nichts vergessen hatte.
    »Wir waren zusammen auf der Polizeischule«, erklärte sie dem verblüfften Kriminaldirektor.
    »Aha«, sagte der nur. »Nehmen Sie Platz, Bodenstein.«
    Bodenstein gehorchte. Er versuchte, sich an die letzte Begegnung mit der Frau zu erinnern, die in Zukunft seine Chefin sein würde.
    »... hatte Ihren Namen ja mehrfach ins Gespräch gebracht«, drang die Stimme des Kriminaldirektors an sein Ohr. »Aber aus dem Innenministerium kam der Vorschlag, jemandem von außerhalb die Leitung der RKI zu übertragen. Sie sind meines Wissens ohnehin nicht sehr erpicht darauf, in den gehobenen Dienst zu wechseln und Behördenleiter zu werden. Politik ist ja nicht so Ihr Gebiet.«
    Bodenstein meinte bei diesen Worten ein spöttisches Aufblitzen in Nicolas Augen zu erkennen, gleichzeitig fiel ihm alles wieder ein. Es war ungefähr zehn Jahre her; sie hatten mitten in hoffnungslos festgefahrenen Ermittlungen zu einer brutalen Mordserie im Rotlichtmilieu gesteckt, die bis heute unaufgeklärt geblieben war. Das gesamte Frankfurter K11 hatte unter unglaublichem Druck gestanden. Ein V-Mann, den sie in eine der rivalisierenden Banden hatten einschleusen können, war angeblich durch einen weiteren V-Mann im Milieu enttarnt und daraufhin auf offener Straße erschossen worden.
    Bodenstein war sich bis heute sicher, dass die Enttarnung auf einen gravierenden Fehler von Nicola zurückging, die damals innerhalb des K11 eine andere Abteilung geleitet hatte. Nicola, ehrgeizig und rücksichtslos, hatte Bodensteins Leute verantwortlich machen wollen. Der Machtkampf war schließlich durch die nachdrückliche Intervention des Polizeipräsidenten beendet worden. Nicola war von Frankfurt nach Würzburg gegangen, hatte es dort zur Vizepräsidentin des Polizeipräsidiums Unterfranken gebracht und galt als kompetent und unbestechlich. Mittlerweile war sie Kriminalrätin, wie Bodenstein erfuhr, und zum 1. Juni 2007 würde sie seine neue Chefin sein. Er wusste ganz und gar nicht, was er davon halten sollte.
    »Frau Dr. Engel hat sich bereits in Würzburg beurlauben lassen und wird ab sofort von mir eingearbeitet«, schloss Nierhoff seine Rede, von der Bodenstein nur Bruchstücke mitbekommen hatte. »Ich werde sie am nächsten Montag offiziell allen Mitarbeitern vorstellen.«
    Er blickte seinen Dezernatsleiter erwartungsvoll an, aber Bodenstein sagte nichts und stellte auch keine Fragen.
    »War’s das?«, sagte er nur und stand auf. »Ich muss zurück in die Besprechung.«
    Nierhoff nickte konsterniert.
    »Unser K11 hat gerade die Ermittlungen in zwei Mordfällen so gut wie abgeschlossen«, erklärte er seiner Nachfolgerin stolz – wohl in der Hoffnung, Bodenstein würde irgendwie darauf eingehen.
    Nicola Engel erhob sich ebenfalls und hielt Bodenstein die Hand hin.
    »Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit«, sagte sie, aber der Ausdruck in ihren Augen strafte diese Behauptung Lügen. Von nun an würde ein anderer Wind bei der Regionalen Kriminalinspektion wehen, das war Bodenstein klar. Inwieweit sich Dr. Nicola Engel in seine Arbeit einmischen würde, blieb abzuwarten.
    »Ich mich auch«, erwiderte er und schüttelte ihre Hand.
     
    Die Besprechung mit dem Architekten und den anderen Handwerkern war gut verlaufen; nach einem Jahr der Planung konnten die Arbeiten am Idsteiner Hexenturm Anfang nächster Woche

Weitere Kostenlose Bücher