Tiefe Wunden
noch, Ostermann?«
»Die Unterschriften von Schneider auf den Schecks waren echt. Und die geheimnisvolle Zahl wurde in beiden Fällen von derselben Person gezeichnet, sagt der Graphologe. Die DNA an dem Rotweinglas in Goldbergs Wohnzimmer gehört zu einer Frau, die Abgleichung der DNA und auch der Fingerabdrücke hat nichts ergeben. Der Lippenstift ist nichtsBesonderes – ein handelsübliches Produkt des Herstellers ›Maybelline Jade‹ –, aber außer dem Lippenstift wurden noch Spuren von Aciclovir gefunden.«
»Und was ist das?«, erkundigte sich Kathrin Fachinger. »Ein Wirkstoff gegen Lippenherpes. Ist zum Beispiel in Zovirax enthalten.«
»Na, das ist ja mal eine Nachricht«, murrte Hasse. »Der Mörder wurde durch seinen Herpes überführt. Kann mir schon die Schlagzeile vorstellen.«
Bodenstein musste wider Willen grinsen, aber das Grinsen verging ihm bei Pias nächsten Worten.
»Vera Kaltensee hatte ein Pflaster auf der Lippe. Zwar hatte sie Lippenstift drübergemalt, aber ich hab’s genau gesehen. Erinnern Sie sich, Chef?«
Bodenstein runzelte die Stirn, er warf Pia einen zweifeln den Blick zu.
»Möglich. Aber ich könnte es nicht beschwören.«
In dem Moment klopfte es an der Tür, die Sekretärin des Kriminaldirektors steckte den Kopf herein.
»Der Chef ist von der Pressekonferenz zurück und erwartet Sie, Herr Hauptkommissar«, überbrachte sie ihre Botschaft. »Dringend.«
Der Auftrag war unmissverständlich. Die Kiste samt Inhalt musste unbedingt gefunden werden. Weshalb, das war ihm gleichgültig. Er wurde nicht dafür bezahlt, dass er sich Gedanken über irgendwelche Beweggründe machte. Er hatte noch nie Skrupel gehabt, einen Befehl zu befolgen. Das war sein Job. Es dauerte anderthalb Stunden, bis Ritter endlich das hässliche, gelb gestrichene Mietshaus verließ, in dem er seit seinem folgenreichen Sündenfall hauste. Der Mann beobachtete mit boshafter Genugtuung, wie Ritter mit einer umgehängten Laptop-Tasche und dem Handy am Ohr dieStraße überquerte und zur S-Bahn-Haltestelle Schwarzwaldstraße ging. Die Zeiten waren vorbei, in denen sich der arrogante Typ herumchauffieren ließ.
Er wartete, bis Ritter aus seinem Blickfeld verschwunden war, dann stieg er aus und betrat das Haus. Ritters Wohnung lag im dritten Stock. Für die lächerlichen Sicherheitsvorrichtungen an der Wohnungstür benötigte der Mann exakt zweiundzwanzig Sekunden, ein Kinderspiel. Er zog sich Handschuhe an und blickte sich um. Wie musste sich ein Mann wie Thomas Ritter, der an ein Leben im Luxus gewöhnt war, in einer solchen Bude fühlen? Ein Zimmer mit Blick auf das Nachbargebäude, ein Badezimmer mit Dusche und Klo ohne Tageslicht, ein winziger Flur und eine Küche, die dieser Bezeichnung spottete. Er öffnete die Türen des einzigen Schranks, arbeitete sich systematisch durch Stapel mit sauberer und weniger sauberer Kleidung, Unterwäsche, Socken und Schuhe. Nichts. Kein Hinweis auf eine Kiste oder auf die Familie. Das Bett sah aus, als sei es eine Weile nicht benutzt worden, es war nicht einmal bezogen. Als Nächstes wandte er sich dem Schreibtisch zu. Es gab keinen Festnetzanschluss, also auch keinen Anrufbeantworter, der etwas verraten konnte. Auf dem Schreibtisch lag zu seiner Enttäuschung nur uninteressantes Zeug herum, alte Zeitungen und Sexmagazine der billigsten Art. Eines steckte er sich ein. Etwas inspirierende Lektüre für langweilige Wartestunden im Auto konnte nicht schaden.
Er blätterte akribisch die Stapel handschriftlicher Notizen durch und stellte fest, dass sich Ritters Niveau erheblich verschlechtert hatte. »Raschelnde Laken, quietschende Muschis und atemlose Orgasmusschreie« , entzifferte er und musste grinsen. So weit war er also gesunken, der Herr Doktor, der früher hochgeistige Reden verfasst hatte. Heute schrieb er platte Kurzgeschichten mit pornographischem Inhalt. DerMann blätterte weiter. Er stutzte, als er auf einem gelben Post-it einen flüchtig hingekritzelten Namen, eine Mobilfunknummer und ein Wort las, das ihn augenblicklich elektrisierte. Mit seiner Digitalkamera fotografierte er den Zettel und deckte anschließend die anderen Unterlagen wieder darüber. Der Besuch in Ritters Wohnung war doch keine Zeitverschwendung gewesen.
Katharina Ehrmann stand in Slip und BH in ihrem begehbaren Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte. Sie hatte sich nie für besonders eitel gehalten, bis sie nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes die trauernde Witwe
Weitere Kostenlose Bücher