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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Starköche, die neunzehnjährigen Lehrlingen den Kopf verdrehen, dachte Bodenstein, sagte aber nichts. Seines Wissens verhielt sich St. Clair Rosalie gegenüber vollkommen korrekt – zu ihrem tiefen Bedauern. Er unterhielt sich mit dem Franzosen und erkundigte sich nach Rosalies Fortschritten. Marie-Louise hatte ihm unterdessen einen Teller mit allerhand leckeren Dingen zurechtgemacht, und während er eine unglaublich klingende Variation von Hummer, Kalbsbries und Blutwurst aß, zeigte sie das Foto ihrem Personal.
    »Ja, die war am Samstag da«, erinnerte sich eine junge Frau vom Service. »Das war die im Rollstuhl.«
    Rosalie warf ebenfalls einen neugierigen Blick auf das Bild.
    »Stimmt«, bestätigte sie. »Du hättest übrigens nur Oma fragen müssen, die hat nämlich neben ihr gesessen.«
    »Ach, tatsächlich?« Bodenstein nahm das Blatt wieder an sich.
    »Was ist mit ihr?«, fragte Rosalie neugierig.
    »Rosalie! Soll ich selber alles Gemüse putzen?«, brüllte St. Clair aus den Tiefen der Küche, und das Mädchen verschwand wie der Blitz. Bodenstein und seine Schwägerin wechselten einen Blick.
    »Lehrjahre sind keine Herrenjahre.« Marie-Louise erlaubte sich ein belustigtes Lächeln, bevor sie wieder die Stirn furchte, weil ihr irgendetwas einfiel, was sie noch zu erledigen hatte, bevor der Betrieb in einer Stunde losging. Bodenstein bedankte sich für den Imbiss und verließ gestärkt das Schloss.
     
    Professor Elard Kaltensee entschuldigte seine Mutter, als Bodenstein am frühen Abend auf dem Mühlenhof erschien. DieNachricht vom gewaltsamen Tod der Freundin habe sie so sehr mitgenommen, dass sie sich von ihrem Arzt ein Beruhigungsmittel habe verabreichen lassen und nun schlafe.
    »Kommen Sie herein.« Kaltensee machte zwar den Ein druck, als sei er gerade dabei gewesen, das Haus zu verlassen, dennoch schien er nicht in Eile. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
    Bodenstein folgte ihm in den Salon, lehnte einen Drink jedoch höflich ab. Sein Blick wanderte zu den Fenstern, vor denen bewaffnete Sicherheitsleute zu zweit auf und ab patrouillierten.
    »Sie haben die Sicherheitsvorkehrungen erheblich verstärkt«, bemerkte er. »Gibt es dafür einen Grund?«
    Elard Kaltensee schenkte sich einen Cognac ein und blieb mit geistesabwesender Miene hinter einem der Sessel stehen. Der Tod von Anita Frings berührte ihn offenbar so wenig wie der von Goldberg oder Schneider, aber irgendetwas beschäftigte ihn. Seine Hand, die das Cognacglas hielt, zitterte, und er sah übernächtigt aus.
    »Meine Mutter litt schon immer unter Verfolgungswahn. Jetzt glaubt sie, dass sie die Nächste sein könnte, die mit einem Genickschuss hinter ihrer Haustür liegt«, sagte er. »Deshalb hat mein Bruder seine Truppen aufmarschieren lassen.«
    Bodenstein war verblüfft über den Zynismus, der aus Kaltensees Worten sprach.
    »Was können Sie mir über Anita Frings sagen?«, erkundigte er sich.
    »Nicht viel.« Kaltensee blickte ihn aus geröteten Augen nachdenklich an. »Sie war eine Jugendfreundin meiner Mutter aus Ostpreußen und lebte in der DDR. Nach dem Tod ihres Mannes kurz nach der Wende ist sie in den Taunusblick gezogen.«
    »Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«
    »Am Samstag, auf der Geburtstagsfeier meiner Mutter. Ich habe nie viel mit ihr gesprochen, es wäre übertrieben zu behaupten, ich hätte sie gekannt.«
    Elard Kaltensee nahm einen Schluck Cognac.
    »Wir haben leider noch überhaupt keine Ahnung, in welche Richtung wir in den Mordfällen Schneider und Anita Frings ermitteln sollen«, gab Bodenstein offen zu. »Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie mir mehr über die Freunde Ihrer Mutter sagen könnten. Wer könnte ein Interesse am Tod dieser drei Herrschaften haben?«
    »Das weiß ich beim besten Willen nicht«, erwiderte Kaltensee mit höflichem Desinteresse.
    »Goldberg und Schneider wurden mit derselben Waffe getötet«, sagte Bodenstein. »Die Munition stammte aus dem Zweiten Weltkrieg. Und an allen drei Tatorten wurde die Zahl 1 61 45 hinterlassen. Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Datum handelt, das wir uns aber nicht erklären können. Was sagt Ihnen der 16. Januar 1945?«
    Bodenstein beobachtete die ausdruckslose Miene seines Gegenübers und wartete vergeblich auf ein äußerliches Zeichen irgendeiner Gefühlsregung.
    »Am 16. Januar 1945 wurde Magdeburg von den Alliierten zerbombt«, sagte Kaltensee, nun ganz Historiker. »Hitler verließ an diesem Tag sein heimliches Hauptquartier in der

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