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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Dank«, erwiderte sie. »Ich rufe Thomas gleich an, damit er hierherkommt. Glaubst du, es ist etwas Verwertbares dabei?«
    »Da bin ich sicher. Unter anderem neun Tagebücher von Vera.«
    »Tatsächlich? Dann stimmte das Gerücht ja doch.«
    »Ich bin froh, wenn ich alles los bin. Also, ich wünsche dir noch ...«
    »Moment«, sagte Katharina, bevor Elard das Gespräch beenden konnte. »Was glaubst du, wer die beiden Alten erschossen hat?«
    »Mittlerweile sind es drei«, berichtigte sie Elard.
    »Drei?« Katharina richtete sich auf.
    »Ach, du weißt es sicher noch nicht.« Elards Stimme klang beinahe vergnügt, als würde er eine lustige Anekdote zum Besten geben. »Gestern Nacht ist die liebe Anita ermordet worden. Genickschuss. Wie die anderen beiden auch.«
    »Das scheint dir ja nicht gerade das Herz zu brechen«, stellte Katharina fest.
    »Stimmt. Ich konnte sie alle drei nicht leiden.«
    »Ich auch nicht. Aber das weißt du ja.«
    »Goldberg, Schneider und die liebe Anita«, sagte Elard verträumt. »Jetzt fehlt nur noch Vera.«
    Sein Tonfall ließ Katharina aufhorchen. Konnte es nicht durchaus Elard gewesen sein, der die drei engsten und ältesten Freunde seiner Mutter erschossen hatte? Motive hatte er zumindest genügend. Er war ihr schon immer wie ein Außenseiter in der Familie vorgekommen, von seiner Mutter mehr geduldet als geliebt.
    »Hast du einen Verdacht, wer es getan haben könnte?«, wiederholte sie ihre Frage.
    »Leider nein«, erwiderte Elard leichthin. »Es ist mir auch egal. Aber wer immer es getan hat, er hätte es dreißig Jahre früher tun sollen.«
     
    Am frühen Nachmittag hatte Pia mit rund zwanzig Bewohnern des Taunusblicks gesprochen, die nach Angaben von Frau Multani in engerem Kontakt mit Frau Frings gestanden hatten, außerdem mit einigen Mitarbeitern des Pflegepersonals. Das alles hatte unbefriedigend wenig ergeben, auch der Auszug aus der Akte, den sich der Chef von der Vorzimmerdame erschleimt hatte, gab nicht viel her. Anita Frings hatte keine Kinder oder Enkelkinder und schien aus einem Leben gerissen worden zu sein, in dem sie keine erkennbaren Spuren hinterlassen hatte. Der Gedanke, dass sie niemandem fehlen und keine Angehörigen ihren Tod betrauern würden, war bedrückend. Ein Menschenleben war einfach erloschen und schon vergessen, ihr Appartement im Taunusblick würde renoviert und umgehend an den Nächsten auf der Warteliste vermietet werden. Aber Pia war fest entschlossen, mehr über die alte Dame herauszufinden. Ohne sich dabei von einer wichtigtuerischen Sekretärin und einer unkooperativen Direktorin aufhalten zu lassen. Sie bezog Stellung in der Eingangshalle mitdirektem Blick auf die Tür zum Vorzimmer der Direktorin und übte sich in Geduld. Nach einer Dreiviertelstunde wurde sie belohnt: Der Zerberus verspürte offenbar ein menschliches Bedürfnis und verließ das Büro, ohne abzuschließen.
    Pia wusste, dass die unerlaubte Beschlagnahmung von Beweismaterial gegen jede Dienstregel verstieß, aber das war ihr egal. Sie vergewisserte sich, dass sie unbeobachtet war, überquerte den Flur und betrat das Vorzimmer. Mit ein paar Schritten war sie hinter dem Schreibtisch und öffnete den Reißwolf. Sehr viel hatte die alte Hexe heute noch nicht vernichtet. Pia klaubte die geschredderte Papierwolle aus dem Auffangbehälter und stopfte sie unter ihr T-Shirt. In weniger als sechzig Sekunden hatte sie das Büro wieder verlassen und schlenderte mit klopfendem Herzen durch die Eingangshalle hinaus ins Freie. Sie ging am Waldrand entlang zu ihrem Auto, das sie in der Nähe des Leichenfundortes abgestellt hatte.
    Als sie die Fahrertür ihres Autos aufschloss und die piksende Papierwolle unter ihrem T-Shirt hervorzog, wurde ihr bewusst, dass Christophs Haus nur ein paar hundert Meter entfernt lag. Er war erst seit vierundzwanzig Stunden weg, aber sie vermisste ihn so sehr, dass es weh tat. Pia war froh über die Ablenkung, die ihr die Arbeit im Augenblick bot, denn so konnte sie nicht lange darüber nachgrübeln, wie Christoph in Südafrika wohl seine Abende verbrachte. Das Summen ihres Handys schreckte sie aus ihren Gedanken. Obwohl Bodenstein ihr mehrfach eingeschärft hatte, während der Fahrt nicht zu telefonieren, nahm sie das Gespräch entgegen.
    »Pia, ich bin’s, Miriam. « Ihre Freundin klang aufgewühlt. »Hast du gerade Zeit?«
    »Ja, habe ich. Ist etwas passiert?«, fragte Pia.
    »Das weiß ich noch nicht«, antwortete Miriam. »Hör zu. Ich habe Oma erzählt, auf

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