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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Bodenstein den Geschwistern den brutalen Mord an Monika Krämer. Ihm fiel auf, dass Elard Kaltensee überhaupt nicht nach Watkowiak gefragt hatte.
    »Ach, Herr Kaltensee«, wandte er sich an den Professor. »Wann und von wem haben Sie vom Tod von Anita Frings erfahren?«
    »Meine Mutter bekam heute Morgen einen Anruf«, er widerte Elard Kaltensee. »Ungefähr gegen halb acht. Es hieß, Anita sei aus ihrem Zimmer verschwunden. Ein paar Stunden später kam dann die Nachricht, sie sei tot.«
    Bodenstein war über diese ehrliche Antwort erstaunt. Entweder besaß der Professor nicht genug Geistesgegenwart, um zu lügen, oder er war tatsächlich arglos. Vielleicht irrte sich Pia Kirchhoff auch, und die Kaltensees hatten gar nichts damit zu tun, dass die Wohnung der alten Dame ausgeräumt worden war.
    »Wie hat Ihre Mutter reagiert?«
    Kaltensees Handy klingelte. Er schaute kurz auf das Display, seine ausdruckslose Miene belebte sich.
    »Sie entschuldigen mich«, sagte er unvermittelt. »Ich muss in die Stadt. Ein wichtiger Termin.«
    Und damit war er verschwunden, grußlos und ohne Händedruck. Jutta sah ihm kopfschüttelnd nach.
    »Seine Affären mit Mädchen, die kaum halb so alt sind wie er, scheinen ihm allmählich an die Substanz zu gehen«, bemerkte sie spöttisch. »Er ist schließlich nicht mehr der Jüngste.«
    »Elard steckt im Augenblick in einer Sinnkrise«, erklärte Siegbert Kaltensee. »Sie müssen ihm sein Benehmen nachsehen. Nach seiner Emeritierung vor einem halben Jahr ist er in ein tiefes Loch gefallen.«
    Bodenstein betrachtete die Geschwister, die sich trotz des Altersunterschiedes sehr nahezustehen schienen. Siegbert Kaltensee war schwer einzuschätzen. Aufmerksam, fast übertrieben höflich, ließ er sich nicht anmerken, was er von seinem älteren Bruder hielt.
    »Wann haben Sie von Frau Frings’ Tod erfahren?«, fragte Bodenstein.
    »Elard hat mich gegen halb elf angerufen.« Siegbert runzeltebei der Erinnerung daran die Stirn. »Ich war geschäftlich in Stockholm und habe dann sofort den nächsten Flug nach Hause genommen.«
    Seine Schwester setzte sich auf einen Stuhl, nahm ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche ihres Blazers, zündete sich eine an und inhalierte tief.
    »Schlechte Angewohnheit.« Sie zwinkerte Bodenstein verschwörerisch zu. »Verraten Sie das bloß nicht meinen Wählern. Oder meiner Mutter.«
    »Versprochen.« Bodenstein nickte lächelnd. Siegbert Kaltensee schenkte sich einen Bourbon ein und bot Bodenstein ebenfalls einen Drink an, den dieser wiederum ablehnte.
    »Mir hat Elard übrigens eine SMS geschickt«, sagte Jutta nun. »Ich war in einer Plenarsitzung und hatte deshalb das Handy leise gestellt.«
    Bodenstein schlenderte zu einer Anrichte, auf der Familienfotos in silbernen Rahmen standen.
    »Haben Sie schon einen Verdacht, wer die drei Morde begangen haben könnte?«, erkundigte sich Siegbert Kaltensee.
    Bodenstein schüttelte den Kopf.
    »Leider nicht«, sagte er. »Sie kannten die drei gut. Wer könnte ein Interesse an ihrem Tod gehabt haben?«
    »Überhaupt niemand«, behauptete Jutta Kaltensee und zog an ihrer Zigarette. »Sie haben keiner Menschenseele etwas zuleide getan. Ich kannte Onkel Jossi zwar nur als alten Mann, aber er war immer sehr nett zu mir. Er hat nie vergessen, mir ein Geschenk mitzubringen.«
    Sie lächelte versonnen.
    »Kannst du dich an den Gauchosattel erinnern, Berti? «, fragte sie ihren Bruder. Der verzog das Gesicht bei der Nennung dieses kindlichen Spitznamens.
    »Ich glaube, ich war acht oder neun Jahre alt, konnte dasDing kaum hochheben. Aber mein Pony musste dran glauben ...«
    »Du warst zehn.« Kaltensee korrigierte seine jüngere Schwester mit freundlicher Zuneigung. »Und der Erste, der dich mit dem Sattel durch das Wohnzimmer getragen hat, war ich.«
    »Stimmt. Mein großer Bruder hat immer alles getan, was ich wollte.«
    Die Betonung lag auf dem Wort »alles«. Sie ließ den Zigarettenrauch durch die Nase entweichen und schenkte Bodenstein ein Lächeln, in dem mehr als nur gewöhnliche Neugier lag. Ihm wurde unwillkürlich heiß.
    »Gelegentlich«, fügte sie hinzu, ohne ihn aus den Augen zu lassen, »habe ich diese Wirkung auf Männer.«
    »Jossi Goldberg war ein sehr aufmerksamer, freundlicher Mensch«, ließ sich nun Siegbert Kaltensee vernehmen und trat mit einem Glas Bourbon in der Hand neben seine Schwester. Die Geschwister erzählten abwechselnd und charakterisierten Goldberg und Schneider ganz anders, als Elard es getan

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