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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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hatte. Alles klang ganz natürlich, und dennoch fühlte sich Bodenstein wie der Zuschauer eines Theaterstücks.
    »Herrmann und seine Frau waren ganz liebe Menschen.« Jutta Kaltensee drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher aus. »Wirklich. Ich habe sie sehr gemocht. Anita habe ich erst Ende der achtziger Jahre kennengelernt. Ich war sehr überrascht, dass mein Vater sie mit einem Firmenanteil bedacht hatte. Über sie kann ich Ihnen leider gar nichts sagen.«
    Sie stand auf.
    »Anita war die älteste Freundin unserer Mutter«, ergänzte Siegbert Kaltensee. »Sie kannten sich schon als kleine Mädchen und haben nie den Kontakt verloren, obwohl Anita bis zur Wende in der DDR lebte.«
    »Aha.« Bodenstein nahm eines der gerahmten Fotos in die Hand und betrachtete es nachdenklich.
    »Das Hochzeitsfoto meiner Eltern.« Jutta Kaltensee trat neben ihn, griff nach einem anderen Bild. »Und hier ... ach je, Berti, wusstest du, dass Mama dieses Foto gerahmt hat? «
    Sie grinste belustigt, ihr Bruder lächelte auch.
    »Das war nach Elards Abitur«, erklärte er. »Ich hasse dieses Foto.«
    Bodenstein konnte verstehen, warum. Elard Kaltensee war auf dem Bild etwa achtzehn. Er war groß, schlank und auf eine dunkle Art sehr gut aussehend. Sein jüngerer Bruder wirkte auf dem Bild wie ein rundliches Schweinchen mit spärlichem farblosen Haar und dicken Backen.
    »Das bin ich an meinem siebzehnten Geburtstag.« Jutta tippte auf ein weiteres Bild und warf Bodenstein einen kurzen Seitenblick zu. »Rank und schlank. Mama hat mich damals zum Arzt geschleppt, weil sie dachte, ich hätte Magersucht. Dazu neige ich nun leider wirklich nicht.«
    Sie strich sich mit beiden Händen über ihre Hüften, an denen Bodenstein nichts auszusetzen fand, und kicherte. Verblüfft stellte er fest, dass es ihr mit dieser beiläufigen Geste gelungen war, sein Interesse auf ihren Körper zu lenken, als habe sie gewusst, was er sich bei ihrem Anblick ausmalte. Während Bodenstein noch überlegte, ob sie dies mit Absicht getan hatte, wies sie auf ein anderes Foto. Jutta und eine junge Frau mit schwarzem Haar, beide etwa Mitte zwanzig, strahlten in die Kamera. »Meine beste Freundin Katharina«, erklärte sie. »Und das sind Kati und ich in Rom. Alle haben uns ›die Zwillinge‹ genannt, weil wir unzertrennlich waren.«
    Bodenstein betrachtete die Aufnahme. Juttas Freundin sah aus wie ein Fotomodell. Gegen sie wirkte die Jutta von damals wie eine graue Maus. Bodenstein tippte auf ein anderesBild, auf dem eine junge Jutta mit einem etwa gleichaltrigen Mann zu sehen war.
    »Wer ist das neben Ihnen?«, erkundigte er sich.
    »Robert«, erwiderte Jutta. Sie stand so dicht neben ihm, dass er ihr Parfüm riechen konnte und eine Andeutung von Zigarettenrauch. »Wir sind genau gleich alt, ich bin nur einen Tag älter als er. Das hat Mama immer sehr gekränkt.«
    »Warum?«
    »Überlegen Sie doch mal.« Sie sah ihn an, ihr Gesicht war seinem so nah, dass er die dunklen Sprenkel in ihren blauen Augen erkennen konnte. »Mein Vater hatte sie und eine andere Frau beinahe am selben Tag geschwängert.«
    Die unverblümte Erwähnung dieses doch recht intimen Sachverhalts machte Bodenstein verlegen. Sie schien es zu bemerken und lächelte anzüglich.
    »Robert traue ich übrigens am ehesten die Taten zu«, ließ sich Siegbert Kaltensee aus dem Hintergrund vernehmen. »Ich weiß, dass er unsere Mutter und ihre Freunde immer wieder angeschnorrt hat, auch nachdem ich ihm Hausverbot erteilt hatte.«
    Jutta stellte die Bilderrahmen zurück.
    »Er ist völlig abgerutscht«, bestätigte sie bedauernd. »Er hat noch nicht einmal mehr einen festen Wohnsitz, seit er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Schon traurig, dass es so weit mit ihm gekommen ist, dabei hatte er wirklich alle Chancen.«
    »Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?«, fragte Bodenstein. Die Geschwister sahen sich nachdenklich an.
    »Das ist schon eine Weile her«, erwiderte Jutta schließlich. »Ich glaube, das war während meines letzten Wahlkampfs. Wir hatten einen Stand in der Fußgängerzone in Bad Soden,da stand er plötzlich vor mir. Ich habe ihn zuerst gar nicht erkannt.«
    »Wollte er nicht sogar Geld von dir?« Siegbert Kaltensee gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Ihm ging es immer nur um Geld, Geld, Geld. Ich habe ihn nie mehr gesehen, seitdem ich ihn rausgeworfen habe. Ich glaube, er hat begriffen, dass es bei mir nichts mehr zu holen gibt.«
    »Man hat uns die Ermittlungen im

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