Tiefe Wunden
Sie verlor vor Schreck das Gleichgewicht und fand sich auf dem Bett liegend wieder. Vor ihr stand Elard Kaltensee und musterte sie mit einem eigentümlichen Ausdruck in den Augen.
Sie roch, dass er getrunken hatte, und das nicht zu knapp. Aber bevor sie etwas sagen konnte, nahm er ihr Gesicht in seine Hände und verschloss ihren Mund mit einem so leidenschaftlichen Kuss, dass ihre Knie weich wurden. Seine Hände glitten unter Marleens Bluse, öffneten ihren BH und umfassten ihre Brüste.
»Herrgott, ich bin verrückt nach dir«, flüsterte Thomas Ritter heiser. Er drängte sie Richtung Bett, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ohne seinen Blick von ihren Augen abzuwenden, öffnete er den Reißverschluss seiner Hose und ließ sie herunter, im nächsten Augenblick war er über ihr und drückte sie mit seinem ganzen Gewicht auf das Bett. Er presste seinen Unterleib gegen ihren, und sofort reagierte ihr Körper auf sein Verlangen. Ströme innerer Erregung zuckten durch ihren Körper, und auch wenn sie sich den Verlauf des Nachmittags etwas anders vorgestellt hatte, so begann es doch, ihr zu gefallen. Marleen Ritter streifte die Schuhe von den Füßen und wand sich mit fiebriger Ungeduld aus ihren Jeans, ohneden Kuss zu unterbrechen. Erst da fiel ihr ein, dass sie heute ausgerechnet einen dieser hässlichen Liebestöter angezogen hatte, aber das schien ihr Mann nicht einmal zu bemerken. Sie keuchte auf und schloss die Augen, als er ohne jede Zärtlichkeit in sie eindrang. Es musste ja nicht immer die pure Romantik mit Kerzenlicht und Rotwein sein ...
»Enttäuscht?«
Elard Kaltensee ging zu einer kleinen Bar in einer Ecke des Raumes und nahm zwei Gläser aus einem Regal. Pia wandte sich zu ihm um. Sie war froh, dass er ohne weiteren Kommentar über die peinliche Situation vorhin hinweggegangen war und ihr die indiskrete Schnüffelei in seiner Wohnung nicht übelzunehmen schien. Die alte Duellpistole, die er ihr in die Hand gedrückt hatte, war ein wirklich schönes Stück mit wahrscheinlich erheblichem Sammlerwert. Allerdings handelte es sich dabei ganz sicher nicht um die Waffe, mit der kürzlich drei Menschen erschossen worden waren.
»Wieso sollte ich enttäuscht sein?«, fragte Pia zurück. »Ich weiß, was über diese Wohnung schon geredet wurde«, erwiderte er und bot ihr mit einer Handbewegung einen Platz auf dem Ledersofa an. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Was trinken Sie?«
»Cola light.«
»Das ist für mich auch okay.«
Er öffnete einen kleinen Kühlschrank, nahm eine Flasche Cola heraus und schenkte beide Gläser voll, die er auf dem niedrigen Tisch abstellte. Er setzte sich Pia gegenüber auf die Couch.
»Gab es diese legendären Partys wirklich?«, wollte Pia wissen.
»Es gab jede Menge Partys, aber längst nicht solche Orgien, wie kolportiert wurde. Die letzte fand irgendwann gegenEnde der Achtziger statt«, antwortete er. »Dann wurde mir das alles zu anstrengend. Eigentlich bin ich ein Spießer, der gerne abends mit einem Glas Rotwein vor dem Fernseher sitzt und um zehn ins Bett geht.«
»Ich dachte, Sie wohnen auf dem Mühlenhof«, sagte Pia.
»Hier war kein Wohnen mehr möglich.« Elard Kaltensee betrachtete nachdenklich seine Hände. »Alles, was sich der Frankfurter Kunstszene für zugehörig hielt, meinte, mich ständig belagern zu müssen. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf diesen Zirkus, auf die Menschen, die mich bedrängten. Von einem Tag auf den anderen waren sie mir zuwider, diese wichtigtuerischen, ahnungslosen Kunstsammler, selbsternannte Experten, die wie besessen das kaufen, was gerade angesagt ist, und dafür horrende Summen bezahlen. Aber noch schlimmer fand ich die lebensuntüchtigen, talentfreien Möchtegern-Künstler mit ihren aufgeblähten Egos, ihrer wirren Weltanschauung und einem diffusen Kunstverständnis, die stunden-, ja nächtelang auf mich einlaberten, um mich davon zu überzeugen, dass sie einzig und allein der Stiftungsgelder und Stipendien würdig seien. Unter tausend gibt es einen, der es wirklich wert ist, gefördert zu werden.«
Er stieß ein Geräusch aus, das eher ein Schnauben als ein Lachen war.
»Sie nahmen wohl an, ich sei ganz versessen darauf, bis in die Morgenstunden mit ihnen zu diskutieren, aber im Gegensatz zu diesem Volk musste ich morgens um acht Vorlesungen an der Uni halten. Deshalb bin ich vor drei Jahren auf den Mühlenhof geflüchtet.«
Einen Moment sprach keiner von ihnen. Kaltensee räusperte sich.
»Aber Sie wollen
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