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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Unglück gab. Nach der Szene eben traute sie es dem Mann ohne weiteres zu. Vielleicht hatte er zuerst ruhig und sachlich mit ihnen geredet und war dann ausgerastet, als er gemerkt hatte, dass sie ihm nichts sagen würden. Anita Frings hatte ihn gut gekannt, sie hätte sich wahrscheinlich nicht dagegen gewehrt, wenn er sie mit dem Rollstuhl aus dem Gebäude gefahren hätte. Und auch Goldberg und Schneider hätten ihn arglos hereingelassen. Die Zahl 16145 hatte sowohl für Elard Kaltensee als auch die drei Getöteten eine Bedeutung. Womöglich handelte es sich dabei tatsächlich um das Datum der Flucht! Je länger Pia über alles nachdachte, desto schlüssiger erschien es ihr.
    Sie fuhr im Schritttempo die Oppenheimer Landstraße Richtung Schweizer Platz entlang und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen, die Scheibenwischer schrammten über die Windschutzscheibe. Auf dem Beifahrersitz summte ihr Handy.
    »Kirchhoff«, meldete sie sich knapp.
    »Wir haben Robert Watkowiak gefunden«, hörte sie die Stimme ihres Kollegen Ostermann. »Allerdings als Leiche.«
     
    Marleen Ritter lag auf der Seite, den Kopf in die Hand gestützt, und betrachtete nachdenklich das Gesicht ihres schlafenden Ehemannes. Eigentlich hätte sie sauer auf ihn sein sollen: Erst hatte er sich beinahe vierundzwanzig Stunden nicht bei ihr gemeldet, dann war er mit einer Fahne aufgetaucht und ohne weitere Erklärung über sie hergefallen. Aber es war ihr einfach unmöglich, sich über ihn zu ärgern, schon gar nicht jetzt, wo er wieder da war und friedlich schnarchend neben ihr auf dem Bett lag.
    Sie betrachtete zärtlich die klaren Konturen seines Profils,sein dichtes zerzaustes Haar und wunderte sich wieder ein mal darüber, dass sich dieser gutaussehende, intelligente und wunderbare Mann ausgerechnet in sie verliebt hatte. Thomas hätte zweifellos bei ganz anderen Frauen die besten Chancen. Dennoch hatte er sich für sie entschieden, und das erfüllte sie mit einem warmen, tiefen Glücksgefühl. In ein paar Monaten, wenn das Baby da war, würden sie eine richtige Familie sein, und spätestens dann – da war sie sich ganz sicher – würde ihre Oma Thomas alles verzeihen. Das, was zwischen Thomas und ihrer Großmutter vorgefallen sein mochte, war der einzige Schatten über ihrem Glück, aber er würde sicher alles tun, um die Sache wieder ins Lot zu bringen, denn er trug Vera nichts nach. Er bewegte sich im Schlaf, und Marleen beugte sich vor, um die Decke über seine Blöße zu ziehen.
    »Geh nicht weg.« Er streckte mit geschlossenen Augen die Hand nach ihr aus. Marleen lächelte. Sie schmiegte sich an ihn und streichelte seine unrasierte Wange. Er wälzte sich mit einem Stöhnen auf die Seite und legte schwer einen Arm über sie.
    »Tut mir leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe«, murmelte er undeutlich. »Aber ich habe in den letzten vierundzwanzig Stunden so viel Unglaubliches erfahren, dass ich wohl mein Manuskript total umschreiben muss.«
    »Was für ein Manuskript?«, fragte Marleen erstaunt. Er schwieg eine Weile, dann öffnete er die Augen und blickte sie an.
    »Ich war nicht ganz ehrlich zu dir«, gab er zu und lächelte zerknirscht. »Vielleicht, weil ich mich geschämt habe. Nachdem Vera mich vor die Tür gesetzt hatte, war es für mich ziemlich schwer, einen neuen Job zu kriegen. Und um irgendwie zu Geld zu kommen, habe ich angefangen, Romane zu schreiben.«
    Marleen roch seinen schalen Alkoholatem.
    »Aber daran ist doch nichts Ehrenrühriges«, erwiderte sie. Wenn er so lächelte, war er einfach zum Anbeißen süß.
    »Na ja.« Er seufzte und kratzte sich verlegen am Ohr, »für das, was ich schreibe, kriege ich keinen Literatur-Nobelpreis. Aber immerhin sechshundert Euro pro Manuskript. Ich schreibe Groschenromane. Arztromane. Herzschmerz. Du weißt schon.«
    Das verschlug Marleen für einen Augenblick die Sprache. Aber dann fing sie an zu lachen.
    »Du lachst mich aus«, sagte Thomas gekränkt.
    »Ach Quatsch!« Sie schlang die Arme um seine Mitte und kicherte. »Ich liebe Dr. Stefan Frank! Vielleicht hab ich ja schon etwas von dir gelesen.«
    »Möglich.« Er grinste. »Allerdings schreibe ich unter Pseudonym.«
    »Verrätst du es mir?«
    »Nur wenn du mir irgendwas Leckeres zu essen machst. Ich sterbe vor Hunger.«
     
    »Kannst du das übernehmen, Pia? «, fragte Ostermann. » Der Chef hat doch heute Taufe.«
    »Ja, klar. Wo muss ich hin? Wer hat ihn gefunden?« Pia hatte seit einer

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