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Tiefe Wunden

Titel: Tiefe Wunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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sich und ging zu der Wandtafel, die mittlerweile von oben bis unten beschrieben und mit Tatortfotos beklebt war. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und betrachtete kritisch das Durcheinander aus Linien und Kreisen.
    »Wischen Sie alles weg«, sagte er zu Kathrin Fachinger. »Wir müssen ganz von vorne anfangen. Irgendwo haben wir etwas übersehen.«
    Es klopfte an der Tür. Eine Beamtin von der Wache trat ein.
    »Es gibt Arbeit für euch. Gestern Nacht gab’s in Fischbach eine gefährliche Körperverletzung.« Sie reichte Bodenstein einen dünnen Hefter. »Der Geschädigte hat mehrere Stichverletzungen im Oberkörper. Er liegt hier in Hofheim im Krankenhaus.«
    »Auch das noch«, murrte Behnke. »Als hätten wir mit fünf Toten nicht genug am Hals.«
    Sein Gemecker nützte nichts. Das K11 war zuständig, egal, wie viele Morde auf Aufklärung warteten.
    »Tut mir leid«, sagte die Beamtin alles andere als mitleidig und ging wieder. Pia streckte die Hand nach dem Hefter aus. In keinem der fünf Mordfälle ging es voran, sie mussten auf die Ergebnisse aus dem Labor warten, und das konnte Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern. Bodensteins Strategie, die Presse vorerst weitgehend aus den Ermittlungen herauszuhalten, hatte einen gravierenden Nachteil: Es würde keine Hinweise aus der Bevölkerung geben, denen sie nachgehen konnten, weder unsinnige noch hilfreiche. Pia überflog das Protokoll der Streife, die dem anonymen Notruf um 2:48 Uhr gefolgt war und den schwerverletzten Mann namens Marcus Nowak in seinem verwüsteten Büro gefunden hatte.
    »Wenn keiner etwas dagegen hat, mache ich das.« Sie war nicht besonders erpicht darauf, den ganzen Tag tatenlos an ihrem Schreibtisch zu sitzen, auf Laborergebnisse zu warten und von Behnkes negativer Ausstrahlung kontaminiert zu werden. Und ihre eigenen düsteren Gedanken bekämpfte sie lieber mit Aktivität.
     
    Eine Stunde später sprach Pia mit der Oberärztin der Plastischen Chirurgie des Hofheimer Krankenhauses. Dr. Heidrun van Dijk sah übernächtigt aus und hatte Ringe unterden Augen. Pia wusste, dass die Ärzte, die über das Wochen ende Dienst hatten, nicht selten unmenschliche Zweiundsiebzig-Stunden-Schichten schoben.
    »Ich darf Ihnen leider keine Einzelheiten sagen.« Die Ärztin suchte die Krankenakte von Nowak heraus. »Nur so viel: Das war keine Wirtshausschlägerei. Die Typen, die ihn so zugerichtet haben, die wussten, was sie taten.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Man hat nicht einfach auf ihn eingeprügelt. Seine rechte Hand wurde zerquetscht. Wir haben letzte Nacht sofort operiert, aber ich kann nicht sagen, ob wir nicht doch noch amputieren müssen.«
    »Ein Racheakt?« Pia runzelte die Stirn.
    »Eher Folter.« Die Ärztin zuckte die Achseln. »Das waren Profis.«
    »Ist er außer Lebensgefahr?«, wollte Pia wissen.
    »Sein Zustand ist stabil. Die OP hat er gut überstanden.«
    Sie gingen den Flur entlang, bis Dr. van Dijk vor einer Tür stehen blieb, hinter der eine aufgebrachte Frauenstimme zu hören war.
    »... du überhaupt um diese Uhrzeit im Büro gemacht? Wo bist du gewesen? Jetzt sag doch endlich was!«
    Die Stimme brach ab, als die Ärztin die Tür öffnete und eintrat. In dem großen hellen Raum stand nur ein Bett. Auf einem Stuhl mit dem Rücken zum Fenster saß eine alte Frau, eine um mindestens fünfzig Jahre jüngere Frau stand vor ihr. Pia stellte sich vor.
    »Christina Nowak«, sagte die Jüngere. Pia schätzte sie auf Mitte dreißig. Unter anderen Umständen mochte sie sehr hübsch sein, mit klaren Gesichtszügen, glänzendem braunen Haar und einer sportlichen Figur. Aber jetzt war sie blass, ihre Augen vom Weinen gerötet.
    »Ich muss mit Ihrem Mann sprechen«, sagte Pia. »Allein.«
    »Bitte. Viel Glück dabei.« Christina Nowak kämpfte gegen neue Tränen. »Mit mir redet er auf jeden Fall nicht.«
    »Könnten Sie bitte einen Moment draußen warten?«
    Christina Nowak blickte auf ihre Armbanduhr. »Ich muss eigentlich zur Arbeit«, sagte sie unsicher. »Ich bin Kindergärtnerin, und wir machen heute einen Ausflug in den Opel-Zoo, auf den sich die Kinder die ganze Woche gefreut haben.«
    Die Erwähnung des Opel-Zoos versetzte Pia einen Stich. Unwillkürlich fragte sie sich, was sie tun würde, wenn Christoph schwer verletzt in einem Krankenbett liegen und nicht mit ihr sprechen würde.
    »Wir können uns auch später unterhalten.« Sie kramte in ihrer Tasche nach einer Visitenkarte und reichte sie Christina Nowak. Die warf einen

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