Tiefe
einer Schulter. Jetzt, da er auf Gryt zusegelte und zu den Booten von anderen Kirchenbesuchern stieß, hatte er die Kapitänsmütze auf dem Kopf. Er konnte sehen, daß man sich wunderte in den Booten, die er einholte. Aber einige mußten es natürlich wissen, er konnte nicht ganz unbekannt sein.
Es gab einen Mann auf Sara Fredrikas Insel, das Kind, das auf die Welt kommen sollte, hatte einen Vater. Merkwürdigerweise empfand er fast etwas wie Stolz angesichts aller Blicke.
Früher war es möglich gewesen, von Süden und Norden zum Kirchberg zu segeln.
Aber in der Bucht hatten sich Untiefen gebildet, jetzt mußte man zu Fuß gehen. Auf dem Kirchplatz waren viele Leute versammelt, im Winter kamen selten Leute aus den äußeren Schären.
Plötzlich standen die Knechte aus Kattilö vor ihm, nicht ganz nüchtern. »Wir haben den Mund gehalten«, sagte Gösta. »Nichts ist aus Versehen entschlüpft.«
»Dann nur weiter so«, sagte Lars Tobiasson-Svartman. »Und wir sollten uns nicht allzu offensichtlich kennen.«
Er kehrte ihnen den Rücken zu und ging weiter. Der Kirchenälteste machte ihn darauf aufmerksam, daß der Mann, der sich in Gryt um die Post kümmerte, an der Kirchenmauer stand und Pfeife rauchte.
Lars Tobiasson-Svartman gab ihm zwei Briefe. Er bat darum, den einen Brief sofort aufzugeben, den anderen in zehn Tagen.
Während des Hauptgottesdienstes lauschte er zerstreut der Predigt von Probst Gustafsson über den Teufel im Fleisch und die Barmherzigkeit des Gottessohns.
Anschließend ging er herum und versuchte, etwas von den Gesprächen aufzuschnappen. Ein Lauscher war er schon immer gewesen, er hatte ein Talent dafür, heimlich mitzuhören, worüber andere redeten. Auf dem Kirchplatz handelte es sich hauptsächlich um Krankheiten und den schlechten Fischfang.
Als er sich auf den Weg zum Boot machte, holte ihn ein Mann in Uniform ein. Der Mann streckte die Hand aus, es war der Gendarm Karl Albert Lund. »Hier sieht man selten jemand in Uniform«, sagte der Gendarm. »Daher möchte ich Sie begrüßen.«
»Hans Jakobsson, nur auf der Durchreise«, antwortete er.
»Darf man fragen, worum es geht?«
»Das kann ich nicht beantworten. Der Krieg verhindert das.«
»Ich verstehe. Dann will ich nicht weiter stören.«
Lars Tobiasson-Svartman schlug die Hacken zusammen und salutierte. Er kehrte zum Boot zurück und segelte nach Hause. Es wunderte ihn, daß er den Namen Hans Jakobsson gewählt hatte.
War das ein Gruß an den Mann, der an Deck der Blenda gestorben war? Warum hatte er nicht das gesagt, was er eigentlich wollte, nämlich daß er Sara Fredrikas neuer Mann war?
Er legte die Uniform ab und zog sich um. Der Wind gab ihm immer noch gute Fahrt.
Auf dem Heimweg dachte er sich Neuigkeiten und Gerüchte über unbekannte Menschen aus, die er Sara Fredrika abends erzählen wollte, wenn er wieder zu Hause war.
Sara Fredrika gebar ihr Kind am 9. September 1915. Er hatte es geschafft, Engla rechtzeitig von Kräkmarö zu holen. Auf dem Heimweg war der Wind launisch gewesen, das Segel war von keinem großen Nutzen, er hatte so kräftig gerudert, daß seine Handflächen danach von offenen Blasen bedeckt waren. Sie waren in der Jolle zu dritt gewesen, Engla hatte noch eine Frau zur Hilfe mitgenommen, eine Magd von einem der Schiffer. Als sie angekommen waren, hatte Engla ihm empfohlen, sich abseits zu halten, zu den Klippen hinauszugehen, wo es vielleicht ein wenig Wind gab, so daß er nicht die Schreie hören mußte, wenn es für Sara Fredrika schwer wurde.
Es war ein kühler Tag. Er begab sich zu einer Kluft an der Südseite, wo er halb liegen konnte, gut abgeschirmt. Er versuchte, Sara Fredrika vor sich zu sehen, ihren Kampf, um ein Kind herauszupressen. Aber er sah nichts, nur das Meer.
Meine innerste Sehnsucht ist ein Traum von Horizonten, dachte er. Horizonte und Tiefen, das ist es, was ich suche.
Es war, als trüge er ein unsichtbares Siegel, das ihn für alle außer ihm selbst unzugänglich machte. Die Oberfläche war ruhig, wie ein Meer bei Windstille, aber darunter lauerten alle Kräfte, mit denen er kämpfen mußte. Der Ehrgeiz, die Unsicherheit, die Erinnerung an den zornigen Vater und die lautlos weinende Mutter. Er lebte in einem ständigen Kampf zwischen Kontrolle, Berechnungen und gewaltiger Risikofreude. Er machte es nicht wie andere Menschen, paßte sich den verschiedenen Situationen nicht an, sondern wechselte die Persönlichkeit, wurde ein anderer, oft ohne daß er selbst davon
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