Tiefe
sie liegen.
Am nächsten Tag wehte ein steifer Ostwind, es fiel ein leichter Nieselregen.
Als er aufwachte, saß sie vor der Tür wie ein nasser zitternder Hund.
»Ich nehme keine tote Frau als Reisegesellschaft mit nach Amerika«, sagte er. »Geh hinein, zieh die nassen Kleider aus und wärm dich auf. Sonst wirst du krank. Und das Kind stirbt.«
Sie folgte ihm. Er selbst ging hinunter zur Bucht und setzte sich auf einen beschädigten Fischkasten. Warum hatte er nicht den Mut, ihr zu sagen, wie es war, daß er nicht zurückkommen und sie holen konnte? Er kannte die Antwort. Er hatte seine Frau getötet, seine Tochter getötet. Er hatte ein Netz ausgelegt, in dem er sich selbst verfangen hatte. Er war im Begriff, hinuntergezogen zu werden und genau wie ihr Mann umzukommen, in ein Heringsnetz verstrickt.
Er kehrte zur Hütte zurück und spähte vorsichtig durchs Fenster. Sie saß vor dem Feuer, in eine Decke gehüllt, den Kopf abgewendet.
Wie Kristina Tacker, dachte er. Zwei Frauen, die ihre Gesichter von mir abwenden.
Später an diesem Tag fing er an, seinen Aufbruch vorzubereiten. Er sprach mit ihr, überzeugte sie davon, daß ihr Warten kurz sein würde. Er würde bald fortgehen, aber auch bald wieder dasein.
Sie fischten weiterhin zusammen, schliefen miteinander, und er versuchte die ganze Zeit, ihr in die Augen zu sehen.
Nach einer Woche war er überzeugt. Sie glaubte, daß er zurückkommen würde.Er konnte von hier wegfahren.
E s war der 7. Juni in der Morgendämmerung. Sie segelten nach Norden, hatten Harstena und die Robbenklippen an Steuerbord und liefen mit gerefftem Segel sehr schnell auf die Schären zu, wo sie nach Westen zur Einmündung von Slätbaken gelangen würden. Er saß am Mast und bediente das Segel. Sie sagten nicht viel, trafen auch keine anderen Boote.
Spätnachmittags flaute der Wind ab, sie blieben liegen, ohne die Einmündung von Slätbaken erreicht zu haben.
Am Horizont sahen sie ein Kriegsschiff und gleich darauf noch eins. Er sah im Feldstecher, daß es Kanonenboote waren, aber die Entfernung war zu groß, als daß er sie hätte identifizieren können.
Sie legten an einer Schäre an, zogen das Boot an Land, machten Feuer und aßen und tranken, was sie in einem Korb mitgenommen hatte. Kartoffeln, kalten Fisch, eine Kanne mit Wasser.
Außerhalb des Feuerkreises war die Sommernacht hell. Einzelne Sterne waren zu sehen. Trotz allem empfand er eine Nähe zu ihr, die er bald verlassen würde. Sie war dicht bei ihm, obwohl er versuchte, sich mit einer hohen Mauer von Unerreichbarkeit zu umgeben.
Sie hatte sich ausgestreckt, den Deckel des Korbs unter dem Kopf. »Ist das wahr?« fragte sie plötzlich. »Die Sterne, die Winterdunkelheit und die hellen Sommernächte, daß das alles niemals endet? Oder endet es? Du mußt es wissen, du, der Tiefen messen und Abstände sehen kann, die kein anderer sieht.«
»Man kann nicht wissen«, sagte er. »Man kann nur glauben.«
»Was glaubst du?«
»Daß man verrückt werden kann, wenn man zu tief ins All schaut.«
Sie überdachte seine Antwort. »Mein Mann«, sagte sie schließlich. »Er hat davon geträumt. Er wurde unruhig, wenn die Herbstdunkelheit kam. Sonderbar ängstlich. Er mußte nachts aufstehen, ich mußte mitkommen und ihn halten. Er konnte es nicht erklären, er fing zu stottern an, wenn die Augustdunkelheit kam. Er stotterte sonst nicht, nur dann, wenn es schwarz wurde und der Aal zu wandern begann, dann starrte er die Sterne an und fing an zu stottern. Er könne es nicht verstehen, sagte er. Es war zu groß. Es war ein Schiffer von Häskö, der betrunken gewesen war und gesagt hatte, es gäbe kein Ende von irgendwas, nicht vom Himmel, nicht von den Sternen. Von nichts. Alles ginge ins Unendliche weiter.«
»Man kann es nicht wissen«, wiederholte er. »Man ist allein mit den Sternen, auch wenn man sie zusammen mit jemand anderem anschaut.«
»Kannst du deine Tochter da oben sehen? Und deine Frau?«
»Ich sehe sie. Aber ich will nicht von ihnen reden.«
Sie verstummte. Er dachte, bald würde alles vorbei sein.
Das Feuer verglomm.
In der Morgendämmerung ging es weiter in Richtung Slät-baken, auf die Einmündung in den Götakanal zu. Sie segelten mit dem Wind durch den Sund von Stegeborg, und vom Slätbaken her bekamen sie Wind aus anderen Richtungen.
An der Einmündung des Kanals warteten Segelfrachter an der ersten Schleuse. Sie lavierten sich zur Flußmündung durch und ruderten zu den Kais von Söderköping.
Der
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