Tiefe
die Gebeine geborgen und die Schwimmer abgeschnitten«, sagte er. »Das Netz ist fort.«
»Es wird wieder an die Oberfläche kommen.«
»Es treibt mit den Strömen, die in der Tiefe sind. Es kommt nie wieder zur Oberfläche. Jedenfalls nicht hier.«
Sie sah sich um.
Vor der Tür hielt er sie auf. »Ich habe noch etwas gefunden.«
Sie sah ihn mit Entsetzen an. »Seinen Kopf! Mein Gott, das halte ich nicht aus.«
»Nicht seinen Kopf. Einen Fuß.«
»Sie waren groß und schmutzig, seine Füße waren nur für ihn wichtig, nicht für mich.«
Sie reihte die Knochen am Boden auf und hockte sich daneben. Sie murmelte, führte ein flüsterndes Gespräch mit den Gebeinen und sich selbst. Er beugte sich vor, um zu hören, was sie sagte, fing aber kein Wort auf.
Dann stand sie auf und nahm das Fell des verrückten Fuchses. Sie wickelte die Gebeine und den Lederflicken darin ein und bat ihn, einen Spaten mitzunehmen.
Das Grab entstand in einem nicht zu tiefen Spalt in den Klippenabsätzen im Westen. Sie schaufelte selbst, sie wollte es ihn nicht machen lassen. Als der Spaten auf Stein stieß, legte sie das Fell hinein und bedeckte es mit der herausgeschaufelten Erde.
Am selben Abend nahm sie die Pfeife und warf sie ins Feuer. Lars Tobiasson-Svartman dachte, daß sie es ihm zuliebe tat, die letzten Spuren ihres Mannes zu beseitigen.
An diesem Abend griff sie heftig nach seinem Körper. Mit den Händen gab sie ihm zu verstehen, daß sie ihn nicht mehr loslassen würde.
Am Abend des folgenden Tages sagte er, Halsskär sei ein Zufluchtsort. Ein äußerster Außenposten im Meer für jene, die nirgendwohin gehörten.
»Es ist wie eine Kirche«, sagte er.
Sie verstand überhaupt nicht, was er meinte. »Diese Höllenschäre? Eine Kirche?«
»In einer Kirche begeht niemand ein Verbrechen. Niemand rammt seinem Feind in der Kirche eine Axt in den Kopf. Es ist ein Zufluchtsort. Früher konnten die Vogelfreien in den Kirchensälen Schutz finden. Vielleicht ist Halsskär auch so ein Ort für dich und deinen Mann gewesen. Ohne daß ihr es gewußt habt.«
Sie sah ihn mit einem Blick an, den er nicht kannte. Es war, als würden ihre Augen sich entziehen. »Woher weiß du von ihr?«
»Von wem?«
»Von ihr, die hier auf der Insel Schutz gesucht hat. Sie, die eine Göttin war. Ich habe durch Helge von ihr gehört. Ein Sturm war aufgekommen, er mußte hier übernachten. Da erzählte er von der Winternacht 1843. Nicht alles, was Helge sagt, muß man glauben. Aber er spricht schön, hat viele Worte, genausoviele wie du. Der Winter war streng in diesem Jahr, das Eis lag so dick, daß man sagte, es brüllt wie ein wildes Tier, wenn es sich zu Wällen türmt. Aber es gab eine offene Rinne vom Meer bis weit hinaus nach Gotska Sandön, und in dieser Rinne kam eine Frau angetrieben. Sie muß eine Göttin gewesen sein, da ein Glanz um ihren Körper war. Sie war von einem betrunkenen Seemann über Bord geworfen worden, er hatte sie mißhandelt. Sie war durchscheinend und unterkühlt, und die Rinne fror hinter ihr wieder zusammen. So blieb sie hier und versteckte sich auf der Schäre. Im folgenden Jahr trieb ein toter Seemann an Land, er hatte sich die Kehle durchgeschnitten. Es war der Seemann, der sie über Bord geworfen hatte, und jetzt war er an der Reihe, hier zu stranden. Helge hat die Geschichte von seinem Vater gehört. Manchmal denke ich, daß sie und ich dieselbe Person sind. Oder, daß sie Sehnsucht nach mir hat.«
Sie kroch unter die Bettdecke. Er setzte sich daneben auf den Boden, sie strich ihm über die Haare.
Da begann er, von einer anderen Göttin zu erzählen, von ihr, die vor der großen Stadt im Westen Wache hielt, weit überm Meer, und alle willkommen hieß, die eine Freistatt suchten.
»Ich werde dich hinbringen«, sagte er. »Auch für mich ist es an der Zeit aufzubrechen. Du hast deinen toten Mann, ich habe meine tote Familie.«
»Ich will irgendwohin, wo es weit zum Meer ist. Ich will es nicht sehen, nicht hören, nicht riechen.«
»Es gibt Städte, die von Wüsten umgeben sind. Da ist das Meer weit weg.«
Sie setzte sich auf. »Was würdest du da tun? Mitten in einer Wüste? Mit deinen Loten und deinen Seekarten und deinen Fahrwassern?«
»Man kann auch in Wüsten messen. Ich kann die Tiefe des Sandes untersuchen, ich kann aufzeichnen, wie er sich bewegt.«
»Aber das Wasser?«
»Wenn mich die Sehnsucht packt, sollte es mir wohl auch da drüben möglich sein, ein Meer zu finden, das ich ausloten kann.«
Sie
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