Tiefe
Abschied sollte kurz sein. Ihr letzter Eindruck mußte sein, daß er die Wahrheit sprach, daß er wirklich nur seinen Auftrag zu Ende führen und seinen Vorgesetzten in Stockholm die Ergebnisse überreichen würde. Danach würde er sie von Halsskär wegholen.
Sie legten an einem Kai beim Brunnshotel an. Der Wasserstand war niedrig. Er kletterte hinauf auf den Kai. Sie blieb unten im Boot.
»Segle heim«, sagte er, »segle vorsichtig. Bald bin ich wieder da.«
Er winkte ihr zu. Sie lächelte und winkte zurück.
Er hoffte, daß sie ihm glaubte. Sicherheitshalber drehte er sich nicht um.
Zwei Tage später war Lars Tobiasson-Svartman zurück in Stockholm. Vom Bahnhof aus fuhr er direkt nach Hause. Kristina Tacker empfing ihn überrascht und glücklich. Auf dem Tisch im Flur lag eine Mitteilung von Skeppsholmen, er möge sich schleunigst dort einfinden.
Am nächsten Morgen fiel ein dünner Nieselregen. Am Widerlager der Brücke zum Skeppsholmen erblickte er ein bekanntes Gesicht. Er ging rasch auf den Mann zu und reichte ihm die Hand. Fregattenkapitän Rake war abgemagert, sein Gesicht war sehr bleich. Lars Tobiasson-Svartman ahnte, daß ihn etwas quälte, vielleicht war ihm etwas zuwidergelaufen.
»Ich habe die neue Karte mit den Fahrwassern bei Sandsänkan gesehen«, sagte Rake. »Nach dem, was ich gehört habe, sollen unsere Schiffe in Bälde die neue Strecke befahren.«
»Die Zeitersparnis ist nicht ganz so groß, wie ich es erhofft habe«, antwortete Lars Tobiasson-Svartman. »Ein Schiff, das mit voller Kraft fährt, vielleicht mit 20 Knoten, spart auf der neuen Strecke 50 Minuten. Ich hatte ein höheres Ziel. Aber der Meeresboden hat sich nicht so benommen, wie ich es wollte.«
»Der Meeresboden erinnert also an Menschen.«
»Die Gefahr von Torpedierungen und treibenden Minen wird natürlich geringer. Die neue Strecke soll außerdem eine bedeutende Zunahme des Tiefgangs bei unseren Kriegsschiffen ermöglichen.«
Das Gespräch brach ab. Rake hielt immer noch seine Hand fest, als Lars Tobiasson-Svartman versuchte weiterzugehen.
»Ich höre nie auf, mich darüber zu wundern, wie mein Gedächtnis funktioniert«, sagte Rake. »Eine endlose Anzahl von Bootsmännern und Offizieren sind durch mein Leben gegangen. Trotzdem ist unter all diesen Erinnerungsbildern das Gesicht des Bootsmannes Rudin am deutlichsten bewahrt. «
»Der bei der Blinddarmoperation starb?«
»Eine unbedeutende Spinne in dem großen Netz. Irgend etwas bewirkt, daß er mich nicht verläßt. Ich frage mich, warum?«
Rake ließ seine Hand los und salutierte rasch. »Ich rede zuviel«, sagte er. »Aber ich frage wenigstens nicht, was Sie machen, da ich davon ausgehe, daß Ihre Angelegenheiten geheim sind.«
Lars Tobiasson-Svartman sah ihn über die Brücke verschwinden. Rake bewegte sich gebückt, der lange Mantel flatterte ihm um die Beine.
Er wurde sofort vorgelassen.
Zu seiner Überraschung erwarteten ihn nur zwei Männer. Der eine war der Vizeadmiral H:son-Lydenfeldt, der andere ein Beamter mit blasser Haut und tiefen Schatten unter den Augen.
Als er sich auf den bereitgestellten Stuhl setzte, überkam ihn ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube.
Der Vizeadmiral betrachtete ihn mit forschendem Blick. »Sind Sie sich dessen bewußt, Kapitän Svartman, warum Sie hier sind?«
»Nein, aber ich weiß, daß ich eine Verlängerung des Urlaubs beantragen muß.«
»Warum das?«
Die Worte waren wie ein harter Schlag mitten in sein Gesicht. Sein Mund wurde trocken. »Ich bin noch nicht wiederhergestellt.«
Der Vizeadmiral deutete ungeduldig auf einen Ordner, der auf dem Tisch lag. »Wovon wiederhergestellt? Der einzige Grund, den Sie angegeben haben, ist Erschöpfung. Wer zum Teufel ist nicht erschöpft? Alle sind erschöpft. Die Welt ist erschöpft. Unser hochgeschätzter Marineminister Boström schläft zuweilen bei unseren Vorträgen ein. Nicht aus Desinteresse, sondern aus Erschöpfung, behauptet er.«
Lars Tobiasson-Svartman machte sich bereit, die Umstände seiner Erschöpfung zu erläutern, als der Vizeadmiral die Hand hob.
»Sie sind aus einem ganz anderen Grund herbestellt wordern. Es hat sich gezeigt, daß Sie während Ihres Urlaubs Reisen gemacht haben, Sie sind im Schärengebiet von Östergötland gesehen worden. Es sind Berichte eingetroffen, verschiedene Leute haben sich gefragt, ob Sie möglicherweise als Spion für Deutschland oder Rußland arbeiten. Es gibt weitere Umstände in dieser Angelegenheit anzumerken. Nicht
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