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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Ereigniskette klar und eindeutig ist, läuft die Zeit ab wie gewöhnlich. Wenn die Vergangenheit in Ordnung ist, wenn Konflikte und Ungerechtigkeiten erkannt und entlarvt sind, wenn die Wunden mit der Zeit verheilt sind, dann liegt ein gewisses Maß an Versöhnung vor, dann ist es der Zeit möglich, sich linear zu bewegen. Aber wenn das Vergangene irgendwie falsch ist, verfälscht, dann fault der Gang der Zeit, dann bleibt Schmutz im Auge der Zeit hängen, dann gerät Sand ins Getriebe der Zeit, und die Zeit verhält sich wunderlich. Das war zumindest eine Theorie.
    Die Zeit war aus den Fugen geraten, wer war Paul Hjelm, sie wieder einzurichten?
    Außerdem würde es ziemlich weh tun.
    Unheilszeiten, sagte man früher. Man hamsterte, verbarrikadierte sich und ließ keinen Deubel über die Brücke. Und hoffte nur, daß die Kinder mit einem Kopf geboren würden, nicht mit zweien.
    Man begriff nie, daß die Kinder gerade deswegen zwei Köpfe bekommen konnten. Weil man keinen Deubel über die Brücke ließ.
    »Nun wach schon auf.«
    ›Jetzt fällt die Zeit. Jetzt, vor meinen Augen. Während ich dies schreibe.‹
    Leonard Sheinkmans Worte hatten sich in Paul Hjelm festgekrallt. Er hatte bewußt darauf verzichtet, zum Tagebuch zurückzukehren. Er wußte, daß er es nicht mit klarem und analytischem Blick lesen konnte, doch genau das war nötig.
    Es verhinderte indessen nicht, daß das Tagebuch zu ihm zurückkehrte. Tatsache war, daß verstreute Sheinkman-Phrasen ihn ständig heimsuchten. Aber nur verstreute. Das Ganze war noch immer zu schwer.
    »Hallo, aufwachen.«
    Leo Sheinkmans Schicksal …
    Zuerst überredet er seine Familie, in Deutschland zu bleiben, statt zu fliehen. Dann sieht er, wie sie fortgeführt werden zur Erschießung – und sagt kein Wort. Am Ende landet er in einer Abteilung, wo er gezwungen wird, auf seinen qualvollen Tod zu warten, den er buchstäblich näher kommen sieht. Das ist der Zustand, in dem er schreibt. Das ist der Zustand, in dem er befreit wird. Das ist der Zustand, in dem er nach Schweden kommt. Es ist nicht erstaunlich, daß er im Buch des Lebens die Seite umblättern mußte, wie sein Sohn Harald es ausdrückte, als sie im Bofinksvägen miteinander sprachen. Leonard Sheinkman muß die Vergangenheit auslöschen. Er muß sie mit Mitteln der Suggestion beseitigen. Er wird Forscher. Er lernt zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert. Er betreibt zielbewußt Gehirngymnastik. Und es gelingt ihm, eine neue Seite aufzuschlagen. Die Seite, auf die er sein neues Leben schreibt, ist vollkommen leer.
    Möglicherweise scheint ab und zu der Text von der anderen Seite durch.
    »Jetzt werd schon wach, verdammt!«
    »Was?« sagte Paul Hjelm.
    Die ganze Kampfleitzentrale starrte ihn an. Es waren ziemlich viele Augen. Er zählte bis zwölf, bevor er wach wurde.
    »Oj«, sagte er. »Ich glaube, ich bin in ein Zeitloch gefallen.«
    »Das grassiert gerade«, sagte Jan-Olov Hultin neutral.
    Hjelm starrte auf einen Haufen auf Hultins Katheder. Chavez stand daneben. Der Haufen war ziemlich bunt, aber die Farben Rot und Lila dominierten.
    »Bisher eingegangene Beiträge aus Europa«, sagte Jorge Chavez. »Vierzig Prozent der Seilproben sind nicht rot und lila gestreift. Einige Hersteller haben ganze Karten mit Warenproben geschickt. Von einer tschechischen Firma haben wir eine zehn Zentimeter dicke Festmacherleine für Öltanker bekommen. Sie ist weiß und aus Hanf, und das Porto beläuft sich auf achthundert Kronen.«
    »Speziell für die tschechische Küste entwickelt«, sagte Viggo Norlander.
    Sie starrten ihn an.
    »Die es nicht gibt«, verdeutlichte er.
    Chavez räusperte sich ein wenig verwirrt. Dann fuhr er fort:
    »Drei Proben sind brauchbar. Die Techniker untersuchen gerade ihre chemische Zusammensetzung, um zu sehen, ob es sich um unsere Art von Seil handelt.«
    Dann raffte er seine Seilproben zusammen, fegte sie mit dem Arm in eine Sporttasche und kehrte an seinen Platz zurück.
    »Vorbildlich kurz gefaßt«, sagte Jan-Olov Hultin und wischte sein Katheder sauber.
    Hjelm sah auf die Uhr. Mit den Füßen hing er noch immer im Zeitloch. Es war drei Uhr. Drei Uhr am Freitagnachmittag. Bald Wochenende. Dann würde er sich wieder dem Tagebuch zuwenden.
    »Könntest du dir vorstellen, jetzt weiterzumachen, Paul?« sagte Hultin mit unheilverheißender Milde.
    Hjelm versuchte, sich zusammenzureißen.
    »Ihr kennt ja Henry Blom, alias Olli Peltonen. Gunnar und ich haben uns, wie bekannt, einige Zeit mit dem

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