Tiefer
elektronische Musik, die nach Dschungel und Weltraum klang, in seinem Büro hörte, überlegte, was man da wohl so zu sehen
bekam. Die Freundinnen fanden neben der Bühne eine Nische mit einem Tisch und quetschten sich auf die harten Plastikbänke.
«Heute |97| bist du die Hauptperson», schrie Gertrud und heulte wie eine rollige Wölfin. Aline lächelte gequält. «Heute gibt es keine
Tabus», ergänzte Manuela, ebenfalls schreiend, «keine Anstandsregeln.» Alines Lächeln wurde noch gequälter. Sie dachte an
die morgige Hochzeit, vor allem an die Diashow, die sie von Max’ Brüdern befürchtete.
Vor ein paar Tagen hatten sie bei Alines Mutter das Familienfotoalbum abgeholt, und bestimmt würden sie eine peinliche Vorführung
zusammenstellen, bei der sie noch einmal richtig deutlich machen konnten, dass Aline nicht dazugehörte. Sie sah die Dias direkt
vor sich: der kleine Max im Kindersmoking beim Tanz mit der Frau Mama, Aline im Woolworthunterhemd im Schlamm spielend, Max
mit dem Privatlehrer Griechisch lernend, Aline mit Marmelade beschmiert Plätzchen backend. Und dann als krönender Höhepunkt:
Aline halb nackt in einer Men-Strip-Show, und Max würde ihr daraufhin seinen Ring entgegenwerfen und «das ist degoutant» rufen.
Dass degoutant ekelhaft hieß, wusste sie nur, weil sie es schon einmal nachgeschlagen hatte, als sie im Urlaub ihr Bikinioberteil
am Strand ausziehen wollte.
Ihre Kolleginnen ahnten nichts und stichelten ununterbrochen, was Aline denn in der Nacht der Nächte anzuziehen gedenke, ob
sie Max zur Feier des Tages «einen abknuspern» würde und Ähnliches, bei dem Aline versuchte, es so gut es ging zu überhören.
Die dicke Katja schäkerte gerade, sie werde nie wieder Verhütungscreme |98| nehmen, ihr Werner beschwere sich immer über «das taube Gefühl in der Zunge», woraufhin alle Mädels grölten wie die Bierkutscher,
da wurde es dunkel im Saal.
Es war eine klassische Men-Strip-Show.
Zuerst kamen die Bauarbeiter mit Helmen und orangeroten Westen. Sie rissen sich die Latzhosen vom Leib und zeigten ihre Boxershorts,
auf denen kleine Warndreiecke angebracht waren. Sie hielten sich die mitgebrachten Pylone vor den Unterleib und stießen mit
fickrigen Bewegungen hinein. Die Meute johlte. Schließlich rissen sie sich auch die Shorts vom Leib und präsentierten wie
Revuegirls in einer Reihe stehend ihre Minislips, die eher «Eierwärmer» waren, wie die dicke Katja kreischend feststellte.
Unter Geschrei und Gekreisch der Zuschauerinnen rieben sich die Bauarbeiter die strammen Hintern gegenseitig mit Motoröl ein
und verschwanden. Aline seufzte und dachte, dass die Sache mit dem Öl auch ihrem schwulen Cousin Freddi gefallen hätte, den
sie bisher vor Max versteckt hatte, damit der ihr keinen Vortrag über «vererbte Charakterschwächen» hielt, wie er es einmal
getan hatte, als sie berichtet hatte, ihre Tante Ursula koche nicht gerne und denke auch gar nicht daran zu heiraten, sondern
verbringe ihr Leben mit wechselnden Herren auf Mallorca.
Eine Horde Indianer in Federröckchen stürmte jetzt unter wildem Geheul die Bühne. Sie trugen einen Marterpfahl in Form eines
Riesendildos mit sich, an den sie |99| gleich eine hysterisch lachende junge Schwarze aus der ersten Reihe fesselten. Katja und Christel hatten Aline zwar aus ihrem
Sitz gezerrt, sobald die Indianer den Saal stürmten, aber sie waren zu weit weg von der Bühne. Aline strich sich erleichtert
durch die Haare und versuchte, in ihrem Sitz zu versinken. Die Indianer versuchten sich gegenseitig mit den Tomahawks die
Genitalien abzuhacken, erwischten aber zufällig immer nur die Seitenbänder der Lendenschurze, die zu Boden fielen, woraufhin
sich die beiden jeweiligen Streithähne anfingen zu balgen. Dabei achteten sie darauf, dass besonders ihre Hinterteile immer
hoch in die Luft ragten, und das Publikum sah, wie gut ausgeprägt ihre Muskeln überall am Körper waren. Der Häuptling erschien,
alle stellten sich in einen Kreis und fingen wild an, um den Riesendildo mit der jungen Schwarzen zu tanzen, verloren dabei
den Rest ihrer spärlichen Bekleidung, und als der letzte federgeschmückte Tanga fiel, ging das Licht aus, und Donner- und
Regengeräusche kamen über Lautsprecher.
Als das Licht wieder anging, waren die Indianer mit ihrer Beute verschwunden und machten Platz für die Gentlementänzer im
Smoking. Vom Smoking war schnell nur noch die Fliege um den Hals übrig,
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