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Tiefer

Titel: Tiefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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nicht.»
    Hinter der Bühne war es ruhiger. Aline glitt von Zorro, setzte sich auf einen Tisch mit Mineralwasserflaschen und Plastikbechern
     und grinste bitter. «Deshalb rennst du also dreimal die Woche zu deinem akademischen Freundeskreis», sagte sie gedehnt, «ob
     das aber so comme il faut ist, was du da tust, ob das deine Frau Mama billigen würde. Nicht dass außer mir noch jemand dieses |103| große Muttermal auf der Schulter wieder erkennt.» Max zog die Maske vom Gesicht, raffte ein Handtuch aus einem Regal und schlang
     es um seine Hüften. «Ich hab nie eine angefasst, ehrlich», wimmerte er, «ich mach das nur aus Spaß. Das hat mit dir gar nichts
     zu tun, Alinchen.» – «Glaub ich dir sogar, aber trotzdem kann es ja wohl nicht sein, dass ich wie eine alte Jungfer lebe und
     du deinen Max hier raushängen lässt.» Sie tippte gegen das Handtuch, Max zuckte zusammen. «Ich werd nur gern angesehen, ich
     tanz nur gern», greinte er, aber Aline winkte ab. «Kannst du ja auch. Aber ich will erstens von dir nie mehr einen Kommentar
     über Contenance hören. Zweitens: Deine Mutter hat in unserer Ehe gar nichts zu bestimmen. Und drittens kann ich mit Freundinnen
     weggehen und mich anziehen, wie ich will. Dann erfährt niemand was, ist das klar?» Max nickte betreten. Aline rutschte vom
     Tisch und umarmte ihn. «Das ist unser Ehevertrag. Wenn du in Frieden leben willst, halt dich dran. Jetzt geh ich wieder nach
     vorne. Es wird spät heute Abend. Warte nicht auf mich.» Er nickte wieder.
    Christel und Manuela diskutierten gerade über die Potenz des Häuptlings vom ersten Teil der Show und ob Bauarbeiter wohl anders
     im Bett seien als Hochschulprofessoren, als Aline betont lässig an den Tisch zurückkam. Sofort stürmten alle auf sie ein,
     wie es mit Zorro gewesen sei und was denn mit ihr los sei. Aline lehnte sich grinsend zurück, warf die Haare in den Nacken
     und sagte nur: «Hen’s night, Hen’s right.»

[ Navigation ]
    |104| Wintersonne
    Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, nehme ich immer die alte Alleestraße. Links an der Post vorbei, die Baumschule auf der
     rechten Seite, und dann kommen nur noch Äcker. Die Fahrt ist lang, fast eine Stunde, aber das macht mir nichts. An guten Tagen
     überlege ich, was links und rechts wohl so wächst, an schlechten denke ich über mich nach. Ich bin einundvierzig. Ich habe
     einen Sohn und einen Mann. Und ich fahre jeden Morgen diese Straße entlang. Viel mehr gibt es eigentlich nicht zu denken.
     Kleine Zweige und Kastanien knacken unter den Reifen, und im Rückspiegel kann ich sehen, wie die Abgase aus dem Auspuff hochsteigen.
     Abgase, Dampf, Rauch, da kann ich stundenlang zusehen, eben noch ist es eine Wolke und im nächsten Moment nichts mehr. Mich
     fasziniert so was.
    Alles fing an auf dieser Allee, an einem Wintertag. Die Sonne stand so tief, dass ich glaubte, direkt hineinzufahren. Die
     Bäume am Rand waren fast golden, und die Straße reflektierte das Licht so, dass es in den Augen wehtat. Entgegenkommende Autos
     konnte man kaum erkennen, sie tauchten einfach aus der Sonne auf und rasten auf mich zu. Ich hielt die Hand über die Augen,
     ich klappte die Sichtblende herunter. Ich fuhr ganz |105| rechts und sehr langsam, aber es nutzte nichts. Wie hypnotisiert starrte ich in das helle Licht und lenkte darauf zu. Ich
     bemerkte viel zu spät, dass ich nicht allein auf der Straße war. Die Reifen drehten durch, als ich bremste. Ich schlitterte
     auf dem eisglatten Asphalt, der Wagen kreiselte und kam kurz vor einem Baum zum Stehen. Ich kurbelte das Fenster herunter
     und hielt mir wieder die Hand vor die Augen, aber das Licht war so hell. «Schönes Manöver», sagte jemand, «vielleicht ein
     bisschen riskant.» Er kam an mein Auto heran, das Pappschild mit der krakeligen Aufschrift in der Hand, den Rucksack über
     die Schulter geworfen. Lächeln konnte ich nicht. Ich versuchte, ihn zu erkennen. Ich hatte nicht die Absicht, ihn mitzunehmen,
     aber nachdem ich ihn fast überfahren hatte, wollte ich mich wenigstens entschuldigen oder wütend werden, wieso er da so auf
     der Straße rumstand am frühen Morgen, ich war mir noch nicht ganz sicher. Es wurde nichts von beidem, keine Entschuldigung,
     keine Wut. Ich ließ ihn einsteigen und nahm ihn mit.
    Vielleicht war es das merkwürdige Licht, vielleicht die Art, wie er ein Kaugummi aus dem Papier schälte und es sich in den
     Mund schob, jedenfalls fuhr ich dort, wo ich hinwollte, einfach vorbei,

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