Tiefer
klingeln, ins Bad stürmen und den Allibert öffnen. Da
offenbart sich ungeschminkt die ganze Existenz. Praktisch ist das auch bei Bewerbern ganz anderer Art, ich meine im eher privaten
Bereich. Wenn man im Badezimmerschrank eines potenziellen Beschälers (bei diesem Wort ziehen sich mir immer die Eingeweide
zusammen, drum sag ich es so gern – als wäre ich ein Apfel, der geschält werden soll) neben Warzentonikum und einer Jumbotube
Herpes-Salbe auch noch Schuppenshampoo findet, weiß man doch sofort: Der Typ ist eine schick verpackte Eiterbeule, den möchte
man nicht anstechen – und auch nicht angestochen werden, also ruft man sich selbst auf dem Handy an und flüchtet.
Auf Lillys Party musste ich solche Enthüllungen nicht befürchten. Sie und ihren Freund Bodo kenne ich seit der Schulzeit.
Sie haben seit Jahren ungeniert Gleitcreme im Badezimmerschrank stehen, und es kümmert sie nicht die Bohne, ob jemand heimlich
an Bodos Enthaarungscreme riecht oder Lillys Cellulitis-Gel probiert. Lilly und Bodo sind seit zehn Jahren zusammen, und das
ist eine Leistung, wenn man erst Ende zwanzig ist. Die beiden sind ein Paar, das mir Spaß macht. Sie quiekt immer noch, wenn
er sie knufft, und sie legt, wenn sie neben ihm auf dem Sofa sitzt, ihre beringte, hennageschmückte Hand immer noch mit einer
unerreicht eleganten Lässigkeit in seinen Schritt, während sie meine Quiches lobt und von diesem tollen jungen |190| Autor erzählt, den sie bei einer Garagenlesung in der Pampa gehört hat. Hat sie sich in Fahrt geredet, bewegt sie die Finger
leicht massierend über seinem Reißverschluss, er rutscht ein Stück tiefer, öffnet die Knie noch weiter als ohnehin schon,
knurrt behaglich und genießt seinen Dauerständer, bis unser Weinabend zu Ende ist. Sammy und ich, wir mögen die beiden. Sie
inspirieren uns. Wir sind da eher ein bisschen verklemmt. Wenn Sammy mir in einem leeren Saal im Museum gelegentlich vor einem
erotischen Gemälde den Arm um die Schultern legt und seine Hand tiefer bis zur Brust rutscht, ist das schon etwas Gewagtes.
Lilly und Bodo sind da anders, die tun es einfach, immer und überall. Bei Sammy und mir ist in letzter Zeit der Wurm drin,
bzw. der Wurm kommt eben nicht mehr rein, um im Bild des unbeschälten Apfels zu bleiben. Sammy ist so müde abends, dass er
kaum einen Spielfilm durchhält, geschweige denn eine Schweiß- und Speichelsession mit mir, seiner Liebsten. Selbst wenn wir
uns mal Zeit nehmen und wirklich wollen: Irgendwie klappt es nicht mehr richtig, Stress wahrscheinlich oder die Umweltverschmutzung, X-Rays aus dem Weltall zerstören die Potenz unserer Männer. Bestimmt hätte ich die beiden und ihre grenzenlose sexuelle Energie
bis in alle Ewigkeit beneidet, wenn ich nicht auf dieser Party die Gelegenheit genutzt hätte, mich genauer in ihrem Badezimmer
umzusehen. Ihren Allibert kannte ich ja nun seit Jahren, aber links neben dem Waschbecken gibt es noch so einen Schrank für
Handtücher, große Bürsten, |191| Föhnaufsätze und was man so braucht, um derartig applausverdächtig auszusehen, wie Lilly und ich das zweifellos tun – mit
ein bisschen Nachhilfe. Und da fand ich dann hinter einer Dose mit Haarspangen und Glanzwachs eine kleine Apothekerflasche
mit blauen rautenförmigen Kapseln. Das hat mich dann doch schockiert, das muss ich ehrlich sagen. Ich war nicht schockierter,
als ich im Bad meines ersten, merkwürdig zurückhaltenden Freundes ein Fläschchen rosafarbenen Nagellack fand, auf dem ein
Gefrieretikett mit seiner Handschrift und der Anweisung «erst Unterlack!» klebte. Lilly und Bodo helfen sich also mit Chemie
auf die Sprünge, unsere sexbesessenen Freunde, die letzten Sommer auf dem Zeltplatz im Nylon-Iglu neben uns so laut gegrunzt
hatten, dass sich ein paar wackere Belgier mit Baseballschlägern und Taschenmessern zusammenrotteten, weil sie glaubten, es
seien gefährliche Wildschweine auf dem Campingplatz. Und diese beiden geben sich offensichtlich den Viagra-Thrill. Ich hatte
mir die Tabletten zwar anders vorgestellt, vor allem rochen sie süßlich, fast minzig, aber wer weiß, warum das so sein muss.
Ich habe schon gesagt, dass ich indiskret bin, aber gestohlen habe ich noch nie etwas. Bis zu dieser Party. Ich konnte einfach
nicht anders und ließ zwei Kapseln mitgehen. Lügen gehört normalerweise auch nicht zu meinen Lastern, aber auch das ging an
dem Abend nicht anders. Ich gab also die große
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