Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Händler und die Versteigerung. Kann ich dir das überlassen?«
»Nichts leichter als das, mein Lieber. Aber du musst mir schon verraten, wie der Tropfen heißt.«
»Château Haut-Brion, aber nur die ersten Gewächse, bitte. Ich bin an dem Jahrgang 1994 interessiert.«
»Okay. Hab ich notiert.« Es entstand eine Pause.
»Du hast nicht gerade eine Flasche intus, Tomi, oder?«, meldete sich Franzen wieder.
»Höre ich mich so an?«, lachte Jung.
»Nein, war nur Spaß. Ist ein etwas abwegiger Urlaubswunsch. Findest du nicht auch?«
»Ja, schon. Aber ich habe meine Gründe. Du kennst mich ja.«
»Okay. Ich kenne dich. Am liebsten hättest du die Informationen schon gestern, nicht wahr?«
»Ich sehe, du verstehst mich«, lachte Jung noch einmal.
»Gut, dann mache ich mich an die Arbeit und jetzt Schluss. Schönen Urlaub. Ich melde mich. Bis dann.«
Jung gab ihm noch die Nummer, unter der er zu erreichen war, und verabschiedete sich von Franzen.
Was würde ihm jetzt guttun, fragte er sich. Ein Spaziergang an den Strand, beantwortete er seine Frage. Er spazierte von der Terrasse über den Hang an den Klippenrand und machte sich auf die Suche nach einem Abstieg durch die Felsen hinunter ans Meer.
Die Party
Als Jung, zurück von seinem langen Spaziergang, müde den Hang hinter dem Ferienhaus erklommen hatte, hielt er nach Tiny Ausschau. Er vermutete ihn im Pool, beschäftigt mit den täglichen Schwimmübungen für seinen kaputten Rücken. Tiny war nicht zu sehen und zu hören. Die Dämmerung senkte sich schnell über die Küste herab. Kein Windhauch kräuselte die Wasseroberfläche. Das starr, wie tot daliegende Becken erregte in Jung beklemmende Bilder. Er beeilte sich, ins Haus zu kommen. In der Küche schmierte er sich ein paar belegte Brote und nahm ein Sagres aus dem Kühlschrank. Damit setzte er sich ins Wohnzimmer und stellte den Fernseher an.
Die Kanäle flossen immer noch über von den Nachrichten über die neuesten Entwicklungen in dem spektakulären Entführungsfall. Jung fühlte sich verfolgt. Er spürte, wie Ärger in ihm aufkam, und er schaltete den Apparat wieder ab. Er fragte sich zum x-ten Mal, welche Kräfte inzwischen mobilisiert worden waren, um den Fall zu solcher Monstrosität aufzublasen. Wer drehte da an einem so großen Rad? Und wie schaffte er das? Aus welchen Quellen speisten sich die Kräfte und entwickelten eine so unheimliche Dynamik? Keine Vernunft schien diese Quellen zu tangieren. Ihre Unergründlichkeit war geradezu tierhaft, so schien es Jung. Er schüttelte den Kopf.
Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er keine Erfahrung mit Fällen gesammelt hatte, die eine öffentliche Aufmerksamkeit diesen Ausmaßes erregt hatten. Als Leiter des Dezernats für unaufgeklärte Kapitalverbrechen hatte er immer in aller Ruhe und vergleichsweise ohne öffentlichen Druck arbeiten können. Wenn die Fälle bei ihm landeten, hatten sie der Trubel und die Hektik – wenn sie denn je vorher aufgekommen waren – schon längst wieder verlassen. Das war ja gerade das Kennzeichen beiseitegelegter, unaufgeklärter Fälle.
Es fiel ihm schwer, sich in die Lage der portugiesischen Kollegen zu versetzen, ohne sich eine Kompetenz anzumaßen, die er nicht haben konnte. Was hätte er an ihrer Stelle getan? Er hätte sich um Ruhe und Nüchternheit bemüht, natürlich. Aber das war leicht dahergesagt. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie den Ermittlern die Leitung des Falles von anderen, sachfremden Mächten streitig gemacht, wenn nicht sogar aus der Hand genommen wurde und sie in der Folge machtlos zusehen mussten, wie ihre Arbeit in den Mühlsteinen der angeschobenen Kräfte zerrieben wurde. Er beneidete sie weiß Gott nicht darum. Er wusste auch, dass es großer Erfahrung und einer sehr spezifischen Professionalität bedurfte, mit den Medien und den unvermeidlich auf den Plan tretenden staatlichen Autoritäten angemessen umzugehen.
Er ermahnte sich, mit seiner Lieblingsbeschäftigung aufzuhören, und stoppte mit einiger Kraftanstrengung sein Gedankenkarussell. Er hatte Urlaub, musste er sich immer wieder selbst einreden.
Er sah auf seine Uhr. Tiny sollte ihn eigentlich schon abgeholt haben. Jung wusste nicht, was er sich unter einer Saisoneröffnungsparty bei den Engländern vorzustellen hatte. Die Aussicht, den ganzen Abend Englisch sprechen zu müssen, entspannte ihn nicht gerade. Aber er liebte Überraschungen, wenn sie nicht schon vorher als ausschließlich unangenehme auszumachen
Weitere Kostenlose Bücher